
Ken Wilber, jg. 1949, us-amerikanischer philosoph und führender vertreter der integralen theorie, die eine erklärung für „alles“ sein soll.
auf der webseite des „connection“-verlages ist ein artikel zur kritik an Ken Wilber erschienen, der sich hauptsächlich auf die differenz von glaube und wissen(schaft) stützt. da der artikel doch relativ lang ist, hier nur der link. auf facebook habe ich aber einen kommentar geschrieben, den ich hier als vorbemerkung voranstelle.
also erst mal würd ich sagen, das ist eine ernstzunehmende Wilber-kritik. darauf vollständig zu antworten, würde eine kleine abhandlung erfordern, die ich natürlich nicht schreiben kann.
es stimmt, dass Wilber vlt den formalismus übertreibt, in jedem lehrsystem ähnliche strukturen zu entdecken. diese existieren zwar, aber dies hilft nur, ein weltverständnis auf der rationalen ebene zu verbessern. den „transpersonalen“ bereich kann man tatsächlich nicht über die ratio gehen. in dem punkt ist Wilber vlt tatsächlich ZU wissenschaftsgläubig. da ist mir Kiergegaard mit seiner existentiellen freiheit, zu der man nur ein leidenschaftliches verhältnis haben kann, wahrscheinlich näher. was mir bei Wilber aber gut gefällt, ist, dass er die anbetung niedrigerer bewusstseinsstufen, wie sie teilweise in der new-age und eso-szene beliebt sind, eine absage erteilt (prä/trans-verwechslung). und sein hochhalten der würde der aufklärung ist sicher auch vollkommen berechtigt. die wirkliche schwäche der integralen liegt meines erachtens darin, nicht erklären zu können, wie tiefere bewusstseinsstrukturen zu einem strukturwandel der gesellschaft führen können. und, wie gesagt, mystik mit der wissenschaft zu versöhnen, mag ein interessanter ansatz sein, letztlich schöpft aber jeder glaube tatsächlich aus eigenen quellen, die eben nicht rational benennbar sind. (dem würde Wilber aber wahrscheinlich auch nicht widersprechen, nur scheint er zu denken, dass transrationale würde sich quasi aus der entwicklung des rationalen zwangsläufig ergeben als „logische“ emergenz. und dies ist wohl so nicht richtig, denn ein sprung in der qualität ist nicht nur ergebnis von evolution, sondern auch ein „bruch“ [revolution] mit dem „alten“)
(anmerkung: wenn man dies auf politische kategorien herunterbrechen würde, entspräche dies der differenz von gradualisten und revolutionären)
insofern ist der nachrationale bereich nicht NUR „trans“, sondern tatsächlich AUCH ein (relativer) GEGENSATZ zur ratio. (das, was im artikel als spannung von glaube und wissenschaft bezeichnet wird)
aus dem artikel zitiert:
dies scheint mir nicht nur ein problem der „extremen postmoderne“ zu sein, sondern auch derjenigen linken (und dem postmodernen feminismus), die eine neigung zum autonomismus haben. mit diesem autonomismus wird man aber niemals die szene-nischen-existenz als marginale randgruppe(n) überwinden können.
der begriff „hierachie“ wird vlt etwas unbehagen auslösen. daher hier ein zitat aus „eros, kosmos, logos“, was die sache etwas deutlicher macht:
„der ausdruck „herrschftshierachien“
bezeichnet hierachien, die sich auf gewalt
bzw offen oder verdeckt angedrohte gewalt gründen.
solche hierachien unterscheiden sich grundsätzlich
von denen, die man beim fortschreiten von niederen
zu höheren funktionsniveaus antrifft…
hierachien dieses typs könnte man als verwirklichungshierachien
bezeichnen, weil sie die funktion haben, das potential
des organismus zu vergrössern.
auf gewalt oder gewaltandrohung basierende menschliche
hierachien dagegen hemmen nicht nur die persönliche
kreativität, sondern erzeugen ein soziales system, das die niedrigsten
menschlichen eigenschaften
verstärkt und das höhere streben (etwa züge wie mitgefühl
und einfühlungsvermögen, wahrheits- und gerechtigkeitsliebe)
systematisch unterdrückt.“ (Riane Eisler, zit nach Ken Wilber;
Eros Kosmos Logos)
Die Unterscheidung Riane Eislers ist zwar sehr grob und schematisch, aber durchaus sinnvoll, vor allem angesichts eines Diskussionsstandes innerhalb der Linken, „gegen alle Hierarchien“ zu sein. Hierarchien gibt es bekanntlich auch bei Anarchisten, selbst wenn sie das subjektiv nicht wahrhaben wollen.
Riane Eisler hat übrigens auch die meines Erachtens unsinnige Theorie entwickelt, wonach die Kurgan-Völker Südrusslands das Patriarchat entwickelt und verbreitet hätten. Aber ausgerechnet in diesem Bereich finden sich explizite archäologische Befunde bewaffneter und kämpfender Frauen (Skythen und Sauromaten). Ihr Buch ist aber trotz dieser meines Erachtens falschen Theorie sehr lesens- und empfehlenswert. Sie entwickelt darin auch die Unterscheidung zwischen dominatorischen (auf Gewalt und Zwang basierenden) und „gylanischen“ Gesellschaften. Letztere fundieren auf Partnerschaftlichkeit, Fürsorge und Interessensausgleich und gingen den später entstehenden patriarchalen Gesellschaften voraus („Matriarchat“). Ihre Unterscheidung ist zwar auch sehr grob, aber die begriffliche Unterscheidung dominatorisch – gylanisch ist begrifflich durchaus sinnvoll.
Jedenfalls gab mir das Buch wichtige Gedankenanstöße.
Zur weltweiten Enstehung des Patriarchats habe ich eine von ihr und übrigens auch von Ken Wilber abweichende Theorie.
Riane Eisler sagt, das Patriarchat sei auf die Ausbreitung der patriarchal organisierten Kurgan-Völker und anderr vergleichbarer Völkerschaften (Viehzüchter) zurückzuführen.
Ken Wilber sagt, dass die Erfindung des neuen Produktionsmittels Pflug den Umschlag von der gylanischen urkommunistischen Gesellschaft („Matriarchat“) bewirkt hätte und begründet dies auch durchaus einleuchtend. Der Haken dabei ist nur, dass das Patriarchat auch dort (in anderen Weltgegenden) entstand, wo der Pflug gar nicht erfunden wurde.
Meine Theorie ist die, dass die Notwendigkeit des Krieges der wesentliche Faktor war. Die Notwendigkeit des Krieges erwuchs aus knapper werdenden Produktionsmitteln (vor allem bebaubares Land) im Verein mit Bevölkerungwachstum. Die Gentes (Sippen) der gylanischen Gartenbaukulturen mussten sich nicht nur mit anderen Gentes zu größeren Formationen zusammenschließen („Stämme“), sondern sie mussten auch eine Struktur schaffen, mit der sich der Stamm gegen andere Stämme zur Wehr setzen konnte. Denn eine gylanische Kooperation gab es nur innerhalb der eigenen Gens und mit den durch den Austausch von Heiratspartner verbündeten Gentes. Diese neue Struktur war der sogenannte Staat, welcher als vornehmliche Aufgabe Heere aufstellen musste. Da das weibliche Geschlecht für das Weiterleben der Gens (Sippe) wichtiger war als das männliche, wurde es von Kampfhandlungen ausgeschlossen.
Aus den rein männlichen Militärstrukturen entstand dann mit einer gewissen Zwangsläufifgkeit das Patriarchat.
vielen dank! das ist sehr interessant. diesen diskussionsstand sollte man vlt für einen zukünftigen artikel über das „partiarchat“ im hinterkopf behalten 🙂