auf der homepage der gruppe Arbeitermacht (GAM, deutsche sektion der liga für die 5. internationale) ist ein artikel zur kandidatur von Jeremy Corbyn in der britischen Labour Party erschienen. offensichtlich scheint die workers power (WP) tendenz (L5I) dieser kandidatur eine hohe bedeutung beizumessen, denn sie fantasieren schon über die möglichkeit einer ‚englischen revolution‘:
„Diese Kraft [gegen die Offensive des Kapitals] ist die ArbeiterInnenklasse – die Menschen, die in die Labour Partei hineinströmen und Corbyns Wahlkampf stützen. Den ArbeiterInnen in den Fabriken, Banken, Geschäften und Medien wird eine entscheidende Aufgabe zukommen in der Verteidigung des Programms einer linken Labour-Regierung und in der Aufbietung aller Kräfte dieses Programm umzusetzen.
Gegen die Verhinderungsakte der Bosse müssen die ArbeiterInnen ihre Manager mit einer grundsätzlichen Handlungssperre belegen, die Geschäftsunterlagen für öffentliche Einsichtnahme öffnen und fordern, dass Schließungen und Entlassungen mit Verstaatlichung beantwortet werden. Die Intervention der bürgerlichen Justiz müssen durch Massenstreiks zunichte gemacht werden. Diese Art von Massenmobilisierung, organisiert durch demokratische Ausschüsse von Arbeiterabordnungen, hat in Griechenland gefehlt und Syrizas endgültige Kapitulation erleichtert.“
der sinn des rechten widerstandes liege darin:
„Der Zweck dieser vorgefassten Attacken ist es, die ArbeiterInnenklasse einer Partei zu berauben, die auch nur den Hauch eines Widerstandes gegen die konservative Offensive zustande bringt.“
steht denn die britische „arbeiterklasse“ (die es als ‚homogenen block‘ eh nicht gibt) links von der Labour Party?
„Der mittlere und blairistische Parteiflügel fürchtet zurecht, dass die tätige Teilnahme an der Gegenwehr, ganz zu schweigen von einem Sieg für Corbyn, die Fähigkeit der Partei zerstören würde, sich als verlässlicher und treuer Wächter des Staates der Unternehmer zu präsentieren.“
das kann man ja jetzt gut an der griechischen SYRIZA studieren ….
dabei ist das wirtschaftsprogramm von Corbyn eher moderat:
„Ich sehne den Tag herbei, an dem es einen Schatzkanzler gibt, der sich anschickt, einen Haushalt in einer Art einzuführen wie sehr wenige in der Vergangenheit, was besagt, dass die Priorität darin liegt, eine erweiterte nachhaltige Wirtschaft zu haben mit nachhaltigen Arbeitsplätzen in einer umweltfreundlichen Art und Armut und Not gleichzeitig zu beseitigen.“
selbst die GAM interantionale erkennt das auch:
„Corbyns wirtschaftspolitische Vorstellungen laufen jedoch auf ein vorsichtiges neo-keynesianisches Programm hinaus, das auf öffentlichen Ausgaben und Investitionen zur Ankurbelung von Wachstum ausgelegt ist. Sein Versprechen, bis 2020 einen ausgeglichenen Haushalt herzustellen, wird in Frage gestellt durch die Absicht, den öffentlichen Dienst nicht herunterzufahren, um diese[s] Ziel zu erreichen.“
„Verstaatlichungen sind bei ihm beschränkt auf öffentliche Einrichtungen (Bahn, Wasser, Strom). Die Frage der Verstaatlichung von Banken und die Kontrolle über den Finanzsektor wird gedeckelt durch die Idee der Schaffung einer nationalen Investmentbank.“
„Es läuft auf ein relativ gemäßigtes linksreformistisches Programm hinaus, zumal es überhaupt keine ausgesprochene Gefahr für das große Privatkapital darstellt. Das gab es schon einmal in der Praxis der Labour-Regierungen unter Harold Wilson in den 60er und 70er Jahren.“
die Workers Power leute verstehen sogar, warum ein solches programm als ‚links‘ erscheint:
„Allerdings lässt Blairs und Browns Hinwendung zu Neoliberalismus bzw. ‚Sozialliberalismus’ frühere Labour-Programme und auch das von Corbyn heute als sehr links erscheinen.“
Workers Power – gradualistische Blütenträume
„Ein Sieg für Jerermy Corbyn wäre ein Erfolg für die gesamte ArbeiterInnenbewegung. Er würde den Widerstand aufrütteln, Tribünen für die ArbeiterInnenklasse auf den Vorderbänken des Parlaments und in den Medien aufstellen und die Regierung herausfordern und an den Pranger stellen.“
„Um sicher zu stellen, dass Corbyns Kandidatur zu einem wahren Wendepunkt wird, müssen wir den zehntausenden neuer Mitglieder und AnhängerInnen helfen, damit Labour eine vollwertiger Mitstreiter im Kampf gegen die konservative Offensive wird.“
klar, ohne den tätigen einfluss von Workers Power wird das nichts! habt ihr schon mitgliedsanträge gestellt, genossInnen?!
„Das Ziel ist, die Rechten in Labour zu zwingen [sic!!!!], sich zwischen dem Klassenkampf gegen die Kürzungen, für deren Rücknahme und der Vertreibung der Tory-Regierung oder der Seite der Unternehmer, ihren Medien und ihrer Zerstörung des Wohlfahrtsstaats und der Verarmung der einfachen Leute zu entscheiden.“
wäre es nicht besser, WP würde märchenbücher schreiben?
„Nichtsdestotrotz rührt Corbyns Beliebtheit nicht so sehr von seiner spezifischen Programmatik, so populär sie auch daherkommt, sondern davon, dass er für einen klaren Bruch mit der Politik des Kompromisses, der Kapitulation gegenüber dem neoliberalen Konsens steht.“
„klarer bruch“? – so klar wie der „bruch“ der griechischen SYRIZA? oder bald Podemos oder wie die ganzen linksreformistischen formationen heissen mögen?
„Der plötzliche Masseneinfluss von Corbyns Kandidatur ist ein Zeichen der Zeit. Die große ökonomische Krise hat eine neue Periode im Niedergang des Kapitalismus eingeläutet. Sie mündet nun in eine politische Krise quer durch Europa, vor der auch Britannien, wie diese Ereignisse zeigen, nicht gefeit ist. Die Möglichkeit für eine echte politische Massenbewegung gegen die Kürzungspolitik hat sich eröffnet.“
fragt sich nur, was diese „Massen“ dann wirklich wollen. die schwierigkeiten darin, eine klare inhaltliche bestimmung der anti-austeritätspolitik zu finden, hat man ja beim griechischen „OXI“ gesehen.
Was vielleicht abschließend, der Konstruktivität halber, noch zu sagen wäre: Ein (teilweise modernisiertes) Comeback des klassischen Reformismus in Form von PODEMOS, Corbyn, SYRIZA (der linke flügel scheint sich ja auf eine spaltung vorzubereiten, der einem neuen „volksfrontismus“ huldigt), sicher auch teile der Linkspartei … – wäre sicherlich netter als die neoliberale Scheiße.
Aber statt das völlig realitätsfern abzufeiern, wäre das in seinen Grenzen und mit seinen Durchsetzungsschwierigkeiten zu analysieren und die eigene programmatische Unabhängigkeit zu wahren.
für die „theoretischen“ grundlagen dieser art politik siehe:
http://www.sozialismus.net/content/view/1057/127/
CWI und IMT – Die Militant-Tendenz und ihre Nachfolger
von der RSO
„Diese mechanische Sicht der Entwicklung des Klassenbewusstseins hat Grant [**] nicht neu erfunden,
sondern von Pablo [***] übernommen. Der Ausgangspunkt für Pablos Entrismus sui generis war, dass mit dem Beginn der erwarteten Krise die reformistischen Massenparteien ‚ob sie wollen oder nicht, gezwungen sein werden, der Politik der
ganzen oder zumindest eines Teils ihrer Führung eine Wende nach links zu geben.‘ Weiter heißt es in Pablos Dokument
Where are we going? von 1951, dass diese Linksentwicklungen ‚für alle sozialistischen Parteien‘ ‚ein unvermeidliches Phä-
nomen‘ seien. Linksreformismus, den Pablo unzutreffenderweise als ‚Zentrismus‘ (also zwischen Reform und Revolution schwankend) beschrieb, wurde von ihm als unvermeidliche Etappe der Entwicklung eines revolutionären Massenbewusstseins betrachtet.
1952 schlussfolgerte Pablo in seinem Dokument ‚The Building of the Revolutionary Party‘: ‚SICHER IST, dass es zuerst NOTWENDIG sein wird, durch die Erfahrung der Durchdringung (des Linksreformis-mus alias Zentrismus, Anm. E.W.) zu gehen und ihm von innen zu helfen, sich zu seinen letzten Möglichkeiten und Konsequenzen zu entwickeln.‘ Pablo führte ein Schema ein, in dem die Krise unvermeidlich zu einer Linkswende der reformistischen Führer führe; die Massen nähmen – als
unvermeidliche Etappe – ein zentristisches Programm und eine zentristische Führung an; die Trotzkist/inn/en müssten diesen Prozess „entwickeln“ und das Übergangsprogramm nicht auf
das strategische Ziel der Sowjetmacht, sondern das einer sozialdemokratischen Regierung, die sich sozialistischer Politik verpflichtet, zuschneiden. Den Kern dieser opportunistischen Herangehensweise hat Grant von Pablo übernommen.“
… und jetzt auch die L5I
[**] https://de.wikipedia.org/wiki/Ted_Grant
[***] https://de.wikipedia.org/wiki/Michel_Pablo
vorankündigung: in den nächsten tagen wird (hoffentlich ^^ ) ein längerer text von TaP und mir zur kritik des „entrismus“ ( a la CWI und IMT) erscheinen. der rohentwurf steht schon, fehlt nur noch der endredaktionelle feinschliff 😉
im neuen deutschland hat Axel Troost sich zum wirtschaftsprogramm von Corbyn geäussert:
„Auch bei seinem Wirtschaftsprogramm handelt es sich – aller Anfeindungen zum Trotz – um seriöse4 und moderate5 Vorschläge aus einer keynesianischen Wirtschaftstradition, an welche sich auch die deutsche Sozialdemokratie wieder erinnern sollte. Die im innerparteilichen Wahlkampf geäußerten wirtschaftspolitische Ideen bzw. Ankündigungen Corbyns6 werden auf der Insel bereits als »Corbynomics« diskutiert. Richard Murphy, ein Ökonom und Steuerexperte7, gilt als wichtiger, wenn auch informeller ökonomischer Berater der Corbynomics. Die Ideen dazu werden jedoch schon länger von progressiv-linken Einrichtungen wie dem Tax Justice Network, der Green New Deal Group8 sowie der New Economics Foundation9 ausgearbeitet und popularisiert.“
http://www.neues-deutschland.de/artikel/982837.corbynomics-statt-austeritaetspolitik.html
TaP hat auf seiner facebook seite das völlig berechtigt so kommentiert:
„Und falls er (Corbyn) tatsächlich mal die Gelegenheit bekommt, sein Programm nicht einhalten zu dürfen, beschimpfen Axel Troost, J. Bischoff & Co. sicherlich diejenigen, die an dem ‚realistischen‘ Programm festhalten wollen, wieder als ‚links-fundamentalistisch‘. LOL.“
zu einem WSWS artikel zu Jeremy Corbyn, der in der linkezeitung.de gespiegelt wurde, hat A. Holberg folgenden kommentar geschrieben:
„Es ist durchaus nützlich, darzulegen, dass und wie Corbyn’s Ideen keine revolutionär-sozialistischen, also kapitalistische, sind. Grundsätzlich richtig ist auch, dass der Reformismus nicht der erste ungenügende Schritt zur notwendigen Revolution ist, sondern diese (zumindest objektiv) verhindern, weil überflüssig machen soll. DerTitel des wsws allerdings scheint mir unangebracht: leider braucht der britische Kapitalismus keinen Corbyn oder andere authentische Reformisten zum Überleben. Der Kapitalismus nämlich bricht nicht zusammen, sondern muss gestürzt werden und zwar unter Führung der politisch bewussten Arbeiterklasse. In GB (wie auch anderswo) gibt es aber keine Organisation, die ernsthaft von sich behaupten könnte, die Arbeiterklasse auch nur in Sichtweite der Revolution führen zu können. Die dem Kapitalismus innewohnende Krisenanfälligkeit wird so in Verbindung mit der ihm ebenso innewohnenden Tendenz die physischen Voraussetzungen seines Funktionierens zu untergraben zum Rückfall in die Barbarei führen, die aber auch kapitalistisch organisiert bleibt. Unter diesen Umständen stellt sich heute konkret nicht die Frage, ob der Reformismus die sozialistische Revolution verhindert, sondern ob und in wieweit man an reformistische (illusorische) Bedürfnisse der proletarischen Massen und ihrer Klassenverbündeten anknüpfen kann und muss, um überhaupt ihr politisches Klassenbewusstsein zu rekonstruieren. Das ist insbesondere auch in GB ein großes Problem angesichts der jahrzehntelangen Deindustrialisierung dort. In GB wird die Arbeiterklasse zunächst einmal nicht entwaffnet durch Corbyn, denn sie besitzt überhaupt keine Waffen. Die Frage ist wie die Bewegung für eine Rückkehr der Labour Party zu ihren — wohlbemerkt reformistischen — Ursprüngen dzu beitragen kann,ihr wieder ideologische und organisatorische Waffen in die Hand zu geben“
http://www.linkezeitung.de/index.php/ausland/europa/4461-jeremy-corbyns-wirtschaftsplan-zur-rettung-des-britischen-kapitalismus#mainmenu