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Ein paar Überlegungen zu Katalonien

auf einmal ist sie wieder da, die gute alte „nationale frage“, die man schon (irrtümlich) für „tot“ erklärt hatte, da „wir“ ja alle so „global“ und „kosmopolitisch“ eingestellt sind. sind wir?

offensichtlich doch wohl nicht, denn anders könnte man phänomene wie Trump, Brexit, Front National und AfD gar nicht erklären. aber bevor ich zu ein paar einschätzungen bezüglich Katalonien komme, gilt es noch eine — wie ich hoffe: nursprachliche unklarheit zu bereinigen.

der ausdruck „nationale frage“ hat für Leninisten eine genau definierte bedeutung: das recht auf einen ‚eigenen‘ staat, was auch als „selbstbestimmung“ bezeichnet wird. nicht mehr und nicht weniger.

durch die EU-debatte sind aber mit dem ausdruck „selbstbestimmung“ (der ohnehin etwas unglücklich gewählt ist, da er auch eine [stark] erweiterbare bedeutung hat) noch weitere konnotationen in diesen begriff eingedrungen, die in richtung „nationale souveränität“ und „nationale identität“ gehen. DIESE themen haben aber mit der „nationalen frage“ (im engeren marxistischen sinne) nichts zu tun. in einem weiteren sinne stellen sich aber daraus fragen, die zumindest eine gewisse strukturelle ähnlichkeit mit der „nationalen frage“ aufweisen. (vlt komme ich darauf noch zurück).

wie steht es nun mit Katalonien? ich gestehe, ich bin kein fachmann für spanische geschichte. ich habe in den letzten tagen die presse so eifrig verfolgt, wie es mir möglich war. aber eine „100%ige“ positionierung dazu kann ich nicht liefern. ich will mich daher auf ein paar wesentliche aspekte konzentrieren und das jeweilige pro und contra abwägen.

über die motive der unabhängigkeitsbestrebungen kann ich nur spekulieren. neben sicher vorhandenen kulturellen ‚besonderheiten‘ scheint mir aber der hauptaspekt zu sein, dass Katalonien wirtschaftlich besser dasteht als andere regionen spaniens. dass man hofft, dem finanzausgleich mit den anderen gebieten spaniens zu entgehen, ist zwar sicher menschlich verständlich, aber nicht unbedingt ein ‚progressiver‘ grund.

auf der anderen seite scheint mir die spanische verfassung (auch wenn ich kein jurist bin) tatsächlich das recht von nationen auf „selbstbestimmung“ ‚abzuschaffen‘ (in dem sinne, dass es nicht vorgesehen ist). nun mag das für alle „bürgerlichen“ staatsverfassungen gelten, aber das heisst noch lange ist, dass es damit „demokratisch“ ist. vielmehr scheint es mir ein hinweis darauf zu sein, dass die „bürgerliche demokratie“ eben nur in einem ‚eingeschränkten‘ sinne „demokratisch“ ist. dies ist aber für marxisten nicht unbedingt eine neue erkenntnis.

nun sind Leninisten zwar für das recht auf einen eigenen staat, aber nicht unbedingt auch für dessen ausübung. denn selbstverständlich bieten „grössere“ einheiten in vielerlei hinsicht vorteile gegenüber „kleineren“ (aber auch nachteile). an dieser stelle kommt leider eine „leerstelle“ in der marxistischen diskussion zu tage, die ich leider auch beim besten willen nicht einmal annähernd ausfüllen kann: und das ist die frage nach dem verhältnis von zentralismus und dezentralismus. auf diesem gebiet können marxisten vlt noch was von den anarchisten lernen und es wäre ein begrüssenswerter ’nebeneffekt‘ von Katalonien, wenn es in dieser frage zu einem „schwarz-roten“ austausch kommen würde. einstweilen müssen wir uns damit begnügen, dass marxisten grössere staatliche einheiten kleineren (generell) vorziehen.

mein eindruck ist aber, dass es innerhalb der unabhängigkeitsbewegung starke tendenzen gibt (wie stark kann ich nicht beurteilen), die auf einen „kompromiss“ mit Madrid hoffen. tatsächlich scheint es mir das durchaus auch möglich zu sein, wenn man bereit wäre, die verfassung im sinne einer stärkeren berücksichtigung der belange der „nationalen“ minderheiten zu ändern. und ein staat mit föderaler kultur-hoheit muss ja nicht das schlechteste sein.

nur leider scheint genau dieser weg versperrt zu sein. so schreibt Hans-Ingo Radatz in einem äusserst lesenswerten artikel über die Katalonienkrise:

„Während der katalanische Nationalismus von allem Kommentatoren stets als eigentlicher Auslöser der Krise verstanden wird, findet der spanische Staatsnationalismus höchstens am Rande Beachtung. Doch die zusehends irrational wirkende Dialogverweigerung der spanischen Regierung zeigt, dass das Problem derzeit gerade dort zu liegen scheint. Während nämlich die Katalanen durch Verhandlungen selbst noch keine Prinzipien preisgeben müssten, würde Madrid damit symbolisch anerkennen, dass Katalonien als politisches Subjekt als Verhandlungspartner auf Augenhöhe auftritt. Genau dies ist die Zentralforderung Kataloniens – und genau dies ist für Madrid inakzeptabel.
Wirklich unerträglich ist für den spanischen Nationalismus letztlich nicht die katalanische Geldforderung, sondern die Unerhörtheit, nicht als Provinz sondern als Nation aufzutreten.“ [herv. von mir]

nun mag man es menschlich verstehen, dass für einen zentralstaat seine territoriale integrität sein höchstes „heiligtum“ darstellt (insofern ist auch das verhalten Madrids nicht „irrational“, aber zumindest ‚moralisch‘ fragwürdig und politisch vlt sogar kontraproduktiv). aber man kann menschen, die sich — aus welchen gründen auch immer — als „Katalanen“ (und nicht als spanier) fühlen, nicht dazu zwingen „spanier“ zu werden. es gibt keinen „respekt“ aus angst vor gesetz [hier unterschieden vom ‚Recht‘ im sinne von ‚gerecht‘] und repression, denn dieser wäre nichts anderes ein ausdruck von unterdrückung und obendrein ein „falscher“. und wir alle wissen, dass man konflikte nicht unterdrücken kann, da sie irgendwann wieder an die oberfläche dringen; man kann (und muss) sie austragen.

„Als nach Francos Tod die Demokratie Einzug hielt und die spanische Verfassung von 1978 erarbeitet wurde, intervenierte das Militär gegenüber den Vätern der Verfassung und sorgte dafür, dass dem Verfassungsentwurf zwei „nicht verhandelbare“ Artikel hinzugefügt werden mussten: Artikel 2, der die „unauflösliche Einheit der spanischen Nation“ betrifft, und Artikel 8, der das Militär mit der Aufgabe betraut, über die territoriale Integrität zu wachen. Der Generalstab sorgte also dafür, dass der aggressive Staatsnationalismus des Franquismus in die Demokratie herübergerettet wurde und dort sogar Verfassungsrang erhielt. Das Militär wusste genau, dass der heutige Konflikt früher oder später wieder aufbrechen würde. So wurde die spanische Verfassung mit dem Geburtsfehler geboren, die offensichtlichen internen Nationalitätenkonflikte schon im Vorfeld einer parlamentarischen Debatte zu entziehen und damit die spanische Einheitsnation zur nicht mehr hinterfragbaren Doktrin zu erklären.“ — ebenda

was die „doktrin der spanischen einheitsnation“ und die weigerung, Katalonien als „gleichen verhandlungspartner auf augenhöhe anzuerkennen“, konkret bedeutet, wird in dem artikel mit einer anekdote dargestellt, die mir sehr bezeichnend zu sein scheint:

„¡Piqué, cabrón, España es tu nación!“ haben Fans der spanischen Nationalmannschaft kürzlich dem katalanischen Fußballstar Gerard Piqué zugerufen, nachdem sich dieser zu seiner katalanischen Identität bekannt hatte, also „Piqué, du Bastard, deine Nation ist Spanien“. Auf ganz Katalonien übertragen wäre dies eine perfekte Zusammenfassung des Angebots, das die spanische Regierung den Millionen Katalanen derzeit zu machen bereit ist: die Forderung nach bedingungsloser Einordnung in die spanische Staatsnation.“

bei jedem „demokraten“ — geschweige denn „kommunisten“ — können diese sätze doch nur zu gesteigerten wutreaktionen führen.

ich persönlich würde mir wünschen, dass es eine „verhandlungslösung“ geben könnte, die beiden seiten einigermassen gerecht wird. das haupthindernis dafür scheint mir aber die starre haltung Madrids zu sein:

„Während nun die katalanische Seite die EU um Vermittlung angerufen hat, hat die spanische Regierung allen solchen Versuchen eine scharfe Absage erteilt. Schließlich könnte jede Verhandlung mit der katalanischen Seite von dieser als Anerkennung als gleichwertiger Gesprächspartner ausgelegt werden, die dann im Widerspruch zur Verfassung stünde. Und so scheitert derzeit jede Hoffnung auf eine baldige Lösung auch an diesem bislang zu wenig beachteten Nationalismus der Madrider Seite.“

wenn aber alle institutionellen stricke reissen sollten (ich will mir gar nicht ausmalen, was das konkret bedeuten würde) dann wird der weg in die staatliche unabhängigkeit Kataloniens unvermeidlich sein. und ich hoffe sehr, dass die kritische solidarität vieler menschen dann bei den Katalanen sein wird; eine solidarität, die aber nicht auf den „nationalismus“ setzt, sondern auf das tiefe mitgefühl mit den „verdammten“ und „unterdrückten“ dieser erde.

damit irgendwann mal alle in freier selbstbestimmung im umfassenden sinne leben können; so wie es ihrer facon entspricht! dieser weg geht aber nur über freiwillige einsicht, nicht über zwang und repression.

Bildergebnis für das ist die schönste eigenschaft eines revolutionärs che guevara

 

49 Kommentare zu “Ein paar Überlegungen zu Katalonien

  1. In einem Artikel für „scharf links“ schreibt Rüdiger Pauls:
    „im Gegensatz zu Puigdemont handelt es sich bei Rajoy um einen Realpolitiker und keinen Fantasten.“
    Auch wenn das nun wirklich starker Tobak ist, bleibt das zumindest ein lesenswerte Artikel für diese Frage
    http://www.scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=62543&tx_ttnews%5BbackPid%5D=56&cHash=2d1bf45582
    Noch eine Fundstelle: Raul Zelik hat auf seiner Seite „13 FAQs zu Katalonien, Republik und Unabhängigkeit (Blog 9.10.2017) “ veröffentlicht
    13 FAQs zu Katalonien, Republik und Unabhängigkeit (Blog 9.10.2017)
    auf die wiederum ausführlich DGS bei indimedia geantwortet hat:
    https://de.indymedia.org/node/14338 und auch auf seiner Blogseite „Theorie als Praxis“: http://theoriealspraxis.blogsport.de/2017/10/13/katalonien-eine-antwort-an-raul-zelik-und-fuenf-vorschlaege-an-kommunistinnen-im-spanischen-staat/

  2. „Während nämlich die Katalanen durch Verhandlungen selbst noch keine Prinzipien preisgeben müssten, würde Madrid damit symbolisch anerkennen, dass Katalonien als politisches Subjekt als Verhandlungspartner auf Augenhöhe auftritt. Genau dies ist die Zentralforderung Kataloniens – und genau dies ist für Madrid inakzeptabel.
    Wirklich unerträglich ist für den spanischen Nationalismus letztlich nicht die katalanische Geldforderung, sondern die Unerhörtheit, nicht als Provinz sondern als Nation aufzutreten.“

    Ja. – Aber was heißt das?

    Meines Erachtens heißt es, daß die katalanisch-separatistische Position von einem Selbstwiderspruch gekennzeichnet ist:

    Es ist nicht sehr überzeugend,

    ++ zu beteuern, verhandeln zu wollen,

    ++ aber das, was allenfalls das Ergebnis von Verhandlungen (oder aber eines einseitigen, wirklich souveränen Aktes) sein kann, bereits zur Prämisse der Verhandlungen zu machen: nämlich, daß souveräne Nationen mit einander verhandeln.

    Raul Zelik schreibt in seinem o.g. Text – durchaus glaubhaft -: „die katalanische Sei­te sucht weder Bürgerkrieg noch Straßenschlacht.“

    Und in einem Facebook-Statement zu den Auseinandersetzungen bei dem Referendum vom 1. Oktober wurde auf die „Massen der Menschen, die sich bewaffneten Paramilitärs und Polizei entgegen stellen und sie mit nichts anderem als erhobenen Händen wegdrängen“, hingewiesen.

    Wer mit erhobenen Händen agiert, zeigt in aller Deutlichkeit, daß er/sie NICHT SOUVERÄN IST (auch wenn er/sie es sich wünschen mag).

    Nun wäre ich keinesfalls dafür, wenn die katalanische Seite auf einen BürgerInnenkrieg umorientieren würde. Aber wenn sie diese Umorientierung – aus guten Gründen nicht vornimmt -, dann wird ihr nichts anderes übrig blieben, als den verfassungsrechtlichen status quo in Spanien anzuerkennen – also Rajoy Bedingung für Verhandlungen (die er durchaus nicht verweigert) erfüllen:

    „Fuentes del Gobierno han señalado que si Puigdemont responde en plazo y forma que no proclamó la independencia, no se activaría la segunda fase del 155, que comportaría la intervención de Cataluña, y se abriría ‚un nuevo escenario‘, y se volvería ‚a la situación previa al pleno del Parlament que aprobó la ley de independencia‘, es decir, a la legalidad.
    En ese estadio, aseguran estas fuentes, se pueden dar las condiciones para propiciar un diálogo, como planteó Rajoy en su intervención en el pleno de este jueves, que habría de producirse en el marco de la Constitución y la legalidad.“
    (https://politica.elpais.com/politica/2017/10/12/actualidad/1507809146_343132.html) /

    „Regierungsquellen haben signalisiert, daß – wenn Puigdemont [auf Rajoys Aufforderung von Mittwoch, klarzustellen, ob er Katalonien am Dienstag für unabhängig erklärt hat oder nicht] fristgerecht und in der Weise antwortet, daß er die Unabhängigkeit nicht erklärte habe [ODER: nicht erklären werde? – meine Grammatik-Kenntnisse sind leider noch schlechter als meine Vokabel-Kenntnisse] –

    ++ die zweite Phase [der Anwendung] des Art. 155 [der spanischen Verfassung], der ein Eingreifen [der Zentralregierung] in Katalonien mit sich bringen würde, NICHT eingeleitet würde,

    und daß sich dann eine neue Situation ergeben würde [eine neues Szenario eröffnet wäre] – [nämlich] eine Rückkehr ‚zur Situation vor der [katalanischen] Parlamentssitzung, in der das [katalanische] Gesetz über die Unabhängigkeit‘ angenommen wurde.

    Unter dieser Bedingung [wörtlich: In diesem Stadium], so versicherten die Quellen, wären die Bedingungen für einen Dialog gegeben, wie Rajoy in seiner Rede in der Sitzung [des spanischen Parlaments] am heutigen Donnerstag angesprochen [erwogen / entwickelt] habe, welcher im Rahmen der Verfassung und der Legalität zu erfolgen haben.“

    Da die katalanische Regierung – aus guten Gründen – nicht souverän auftritt, wird sie als Ausgangspunkt von etwaigen Verhandlungen akzeptieren müssen, daß Katalonien – nach der geltenden spanischen Verfassung – keine souveräne Nation, sondern eine Nationalität innerhalb der spanischen Nation ist – also Verhandlungen allenfalls darüber geführt werden könnten, diese Rechtslage zu ÄNDERN. –

    Auch das schottische Unabhängigs-Referendum (in dem es keine Mehrheit für eine Unabhängigkeit gab), fand nicht aus eigener schottischer Machtvollkommenheit, sondern aufgrund eines Gesetzes der britischen Parlaments statt.

    Nun ist der Unterschied freilich, daß das britische Parlament bereit war, ein solches Gesetz zu verabschieden, während das spanische Parlament dazu bisher nicht bereit ist (was politisch kritisiert werden kann, aber erst einmal nichts an der tatsächlichen Lage ändert) – und für eine tatsächliche Unabhängigkeit Kataloniens müßte zusätzlich auch noch die spanische Verfassung geändert werden.

    Um die Wahrheit beim Namen zu nennen: Eine Nation, die Krieg scheut, kann Souveränität nur als Geschenk einer bereits souveränen Nation erhalten. –

    Und in Falle Kataloniens kommt noch hinzu, daß die SeparatistInnen nur eine relative, aber keine absolute Mehrheit der katalanischen Bevölkerung hinter sich haben:

    ++ Die Mehrheit der Abstimmungsberechtigten hatte an dem Referendum am 1. Oktober nicht teilgenommen,

    ++ und auch im katalanischen Parlament haben die SeparatistInnen nur deshalb eine Mehrheit, weil die Stimmenverhältnisse bei der Wahl bei der Sitzverteilung im Parlament nur verzerrt abgebildet werden.

    • Ich stimme – mehr oder minder, wenn auch nicht hinsichtlich des wording und der darin implizierten Inhalte – Folgendem zu:

      „wäre die einzige Möglichkeit der Klärung der Aufruf zu einer regulären Abstimmung, aber das verweigern weiterhin der Machtblock und das Dreiparteiensystem (rechts-konservative PP, Podemos und die liberal-konservative Partei der Ciudadanos C’s), welches das Regime stützt.“

      Aber im übrigen ist der Text doch (abgesehen davon, daß er schlecht übersetzt ist) von genau dem gleichen Demokratie-Idealismus und genau den gleichen Bewegungs-Illusionen durchtränkt, wie die allermeisten Texte der IV. Internationale. [*]

      Warum soll denn das, was in Bezug auf SYRIZA – nach unserer beider Ansicht – falsch war, in Bezug auf die katalanische Unabhängigkeitsbewegung – deren Ziele noch weniger richtig sind als die von SYRIZA und deren Ziel-Mittel-Diskrepanz noch größer ist als die von SYRIZA – auf einmal richtig sein.

      [*] Vielleicht führe ich diesen Punkt morgen noch genauer aus.

      • @ „Wer mit erhobenen Händen agiert, zeigt in aller Deutlichkeit, daß er/sie NICHT SOUVERÄN IST“

        dies erscheint mir zu schematisch gedacht. auch gewaltloser widerstand kann ein ein ausdruck von „souveränität“ sein; zwar nicht in bezug auf eine (wie auch immer geartete) staatliche unabhängigkeit, aber als eine (innere) haltung, die sich nichts mehr vorschreiben lassen will. diese haltung muss dann als sich im PROZESS befindliche aneignung der souveränität gesehen werden. wieweit diese haltung in Katalonien verbreitet ist, kann ich natürlich nicht beurteilen. ich denke aber, weit genug, dass eine (auch gewaltförmige) konfrontation wahrscheinlich wird, wenn den beteiligten konfliktparteien keine „vernünftige lösung“ einfällt. und danach sieht es im moment zumindest wahrlich nicht aus.

        ansonsten teile ich natürlich die kritik am „bewegungsfetischismus“ der [mandelianischen] „IV. Internationale“. 🙂

        zum vergleich mit Syriza würde ich sagen: während in griechenland ein „sozialprotest“ (wie du ja selbst sagst) existierte, scheint mir in Katalanonien die „nationale frage“ dominant zu sein. diese mag zwar auch mit „sozialen“ forderungen verbunden sein, aber dann als untergeordneter aspekt.
        der zentrale widerspruch von Syriza war es, eine anti-austeritätspolitik vertreten zu wollen, aber im rahmen der EU verbleiben zu wollen. dieser widerspruch ist aber kapitalismus-immanent nicht lösbar. darauf war Syriza aber offensichtlich NICHT orientiert.
        ob ein eigener katalonischer „national-staat“ im rahmen des kapitalismus möglich ist, wird sich zeigen. ich denke aber schon, dies wird aber im wesentlichen eine frage der kräfteverhältnisse und — ganz wichtig! — des internationalen drucks sein. ich sehe keinen grund, warum kommunisten GEGEN eine eigene staatsgründung sein sollten, wenn eine mehrheit der katalanen das will. sie könnten zwar bei einem referendum gegen die ablösung stimmen, mit dem argument, dass sie es besser fänden, wenn die katalanischen uns spanischen subalternen gemeinsam kämpfen würden. aber an dem RECHT auf eine ablösung kann es keine zweifel geben (was du ja auch sagst). ob eine ablösung auch im sinne einer „revolutionären strategie“ (wie immer man diese definieren will) „vorteile“ bringt, kann ich nicht beurteilen. diese frage scheint mir aber gegenüber der dominanz der „nationalen frage“ in Katalonien in der (aktuellen) bedeutung untergeordnet zu sein.
        (vom aspekt der totalen schwäche und marginalität der subjektiv revolutionären kräfte mal ganz zu schweigen!)

  3. wie es um die politischen einstellungen und ansichten in Katalonien bestellt ist, gibt dieser bericht von der tagesschau meines erachtens realistisch wieder:

    „Aber natürlich sei das ein politisches Problem [die frage der EU-mitgliedschaft] – über das man vor allem reden müsste. Dialog zwischen beiden Seiten findet jedoch derzeit kaum statt. Madrid fordert viel mehr Klarheit von Barcelona, was es nun mit der bereits erklärten aber dann umgehend suspendierten Unabhängigkeit auf sich habe, droht gleichzeitig aber schon mit dem Entzug der katalanischen Autonomie.

    Der katalanische EU-Abgeordnete Jordi Solé wirft wiederum der spanischen Regierung vor, jahrelang verhindert zu haben, dass Katalonien seine Autonomie ausbaut, ohne sich ganz vom spanischen Staat loszusagen [sic!! herv v. mir]. Immer wieder habe Barcelona um weitere Befugnisse gebeten. „Alles, was wir bekamen, waren Repressalien, Polizei und Gerichtsurteile. Das war deren Antwort auf unsere politischen Forderungen.“

    Kann ein autonomes Katalonien in der EU bleiben?

    Auch Solé ist sich sicher: Unabhängigkeit müsse nicht zwingend den Austritt aus der EU nach sich ziehen. „Zeigen Sie mir den Artikel im EU-Vertrag, der festlegt, dass ein unabhängiges Katalonien aus der EU fliegen würde. Ich habe sie alle gelesen: Es gibt keinen.“

    Dass die Unabhängigkeit Kataloniens der EU schaden könnte, glaubt Solé nicht. Vielmehr warnt er die Kommission, die Katalanen nun allein zu lassen. Denn die seien mehrheitlich pro-europäisch eingestellt: „Viele Menschen, die noch vor Wochen an die EU geglaubt haben, könnten jetzt ihre Meinung ändern. Und ich bedauere das, ich halte die EU für ein notwendiges, wichtiges Projekt für uns alle.“

    http://www.tagesschau.de/ausland/katalonien-eu-107.html

  4. „Der katalanische EU-Abgeordnete Jordi Solé wirft wiederum der spanischen Regierung vor, jahrelang verhindert zu haben, dass Katalonien seine Autonomie ausbaut, ohne sich ganz vom spanischen Staat loszusagen“
    Wirklich ernst gemeint: Was meinen die denn konkret, wenn sie von „Ausbau der Autonomie“ reden?

    • das müsstest du die katalanen fragen. 😉

      aber im ernst: ich denke, das betrifft alle fragen, die besser in Barcelona als in Madrid entschieden werden sollten. das können fragen wie bildung, kultur und gesundheitswesen sein; bis hin zum ladenschluss der hinterletzten eckkneipe oder Bar in irgendeinem einsamen dorf. ich denke, da dürften der fantasie wohl keine grenzen gesetzt sein.

      ich denke, in gewissen bereichen könnte dieses dezentrale prinzip auch durchaus sinn machen – nicht nur aus „nationalen“ (sprich im endeffekt auch: nationalistischen) gründen; sondern einfach weil organisation/verwaltung auch besser funktioniert, wenn eine gewisse „basisnähe“ besteht. jeder zentralismus hat auch eine tendenz in sich, zu einer gewissen (bürokratischen) verselbständigung zu neigen.

  5. an sich bin ich kein freund der nachdenkseiten, aber diesen artikel sollte man lesen:

    Die Probleme und Fehler der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung

    „Eine andere Alternative wäre gewesen, weniger die Unabhängigkeit zu betonen, sondern stattdessen die Bildung eines neuen Kataloniens im Zusammenwirken mit den linken Kräften Spaniens, die bereits versuchen Spanien zu verändern. Die Bildung eines neuen Kataloniens wäre ein Ausgangspunkt für einen Wechsel in Spanien gewesen, in dem Maße, in dem es der spanischen Bevölkerung geholfen hätte, im Kampf um das Recht auf Entscheidung in Katalonien auch einen Kampf für die Transformation Spaniens erkennen zu können. Die zu verfolgende Strategie wäre die der Demokratisierung Kataloniens und Spaniens gewesen, in einem Projekt profunder demokratischer Transformation, in dem die Lösung der großen sozialen Krise im Zentrum der Kämpfe für die Vielfalt der Nationen Spaniens stünde. Der Generalstreik des 3. Oktober, geführt von Kräften mit dem Ziel einer Demokratisierung, war ein Anzeichen für die Möglichkeit einer solchen Strategie. Dass man eine solche nicht verfolgt hatte, hinterlässt einen irreparablen Schaden in Katalonien und Spanien. Dass man derart das Thema Nationalismus betont hat, mit einer Polarisierung der Gesellschaft zwischen Sezessionisten und Verteidigern der ‚Nationalen Einheit‘, schwächt die progressiven und demokratischen Kräfte, insbesondere die der Linken, womit wiederum die Reproduktion neoliberalen Gedankenguts erleichtert wird, das auf beiden Seiten dieser Polarisierung federführend wirkt.“

    • Ich verstehe überhaupt nicht, wie Du nach Lektüre dieses Artikels überhaupt noch irgendwelche Sympathien für die SeparatistInnen haben kannst. Das ist doch – abgesehen von dem Veröffentlichungsort der deutschen Übersetzung, den wir beide nicht mögen – eine völlig schlüssig Kritik.

      Die kastilische Originalfassung gibt es dort:

      Los problemas y errores del independentismo catalán

      http://blogs.publico.es/vicenc-navarro/2017/10/13/los-problemas-y-errores-del-independentismo-catalan/

      • es geht doch nicht um „sympathien für Separatisten“, sondern darum, welche taktik unter den gegebenen bedingungen die ‚beste‘ ist. und mir scheint die durchsetzung der unabhängigkeit Kataloniens ein unvermeidlicher schritt zu sein, wenn man langfristig an einer ‚gesamt-iberischen‘ lösung arbeiten möchten. alle kritikpunkte am separatismus und nationalismus werden dadurch doch nicht ungültig. im gegenteil, bei allen ‚aktionseinheiten‘ (falls solche überhaupt möglich sind) müssen diese kritiken energisch unters ‚volk‘ gebracht werden.

  6. @ systemcrash (Oktober 15, 2017 um 5:59 am):

    „ob ein eigener katalonischer ’national-staat‘ im rahmen des kapitalismus möglich ist, wird sich zeigen. ich denke aber schon, dies wird aber im wesentlichen eine frage der kräfteverhältnisse und — ganz wichtig! — des internationalen drucks sein.“

    Daß ein katalanischer Staat ökonomisch lebensfähig wäre, bestreite ich nicht.

    Ich bestreite, daß Hände hochhalten, die Anwendung des Art. 155 CE und die eingeleiteten Strafverfahren abwehren wird. –

    @ „internationale[r] druck“

    Wenn sich die BRD und die EU für eine Lostrennung aussprechen würden bzw. ein – auf der Grundlage der unklaren Mehrheitsverhältnisse – einseitig für unabhängig erklärtes Katalonien anzuerkennen, wäre ich umso mehr dagegen.

    • ich dachte bei „internationaler druck“ nicht an die EU und BRD, sondern an die internationale „arbeiterbewegung“ und „linke“. dass es die SO nicht gibt, weiss ich auch. es geht aber genau darum, diese zu schaffen. egal, ob der anlass griechenland oder katalonien heisst. ansonsten sind niederlagen (politische oder gar militärische) eben immer wieder unvermeidlich. insofern verstehe und schätze ich auch deine warnungen vor einem einseitigen separatismus. bloss, diese frage kann eben nur im internationalen gesamt-kontext (kräfteverhältnisse [vor allem in Katalonien selbst in bezug auf die unabhängigkeit] und niveau der sozialen und klassen-kämpfe) beurteilt werden.

      • Aber inwiefern soll der Katalonien-Konflikt geeignet sein, zur Re-Konstruktion einer Bewegung der Lohnabhängigen beizutragen?

        [nur über die ‚leninistische‘ haltung zur „nationalen frage“– edit systemcrash]

  7. „Die Internationale Bolschewistische Tendenz verurteilt Madrids gewalttätige Gewaltanwendung, um Kataloniens Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober zu unterdrücken. Wir widersprechen allen Bestrebungen des spanischen Staates, das katalanische Volk daran zu hindern, sein demokratisches Recht auszuüben, einen eigenen Staat zu bilden.

    Trotz der Bemühungen Madrids, die Wähler einzuschüchtern, haben sich über 2 Millionen Menschen der zentralen staatlichen Autorität widersetzt, indem sie an dem Referendum teilgenommen hatten, wobei etwa 90 Prozent für die Unabhängigkeit stimmten. In vielen Fällen besetzten die Katalanen Wahllokale, um sicherzustellen, dass die Wahlen stattfinden, und brutal Widerstand gegen die brutalen Angriffe der nationalen Polizei und der Zivilgarde, die zum Abbruch der Volksabstimmung geschickt wurden, zu widerstehen. Madrids Unterdrückung beschränkte die Gesamtbeteiligung auf 42 Prozent der Wähler, aber es ist so klar wie möglich unter den Umständen, dass Katalanen sich entschieden haben, ihr demokratisches Recht auszuüben und ihren eigenen Staat zu bilden.

    Als Marxisten erkennen wir das Recht aller Nationen auf Selbstbestimmung an, was das Recht auf einen unabhängigen Nationalstaat bedeutet. In einigen Fällen, wie Quebec oder Schottland, verteidigen wir das Recht auf Trennung, befürworten aber an dieser Stelle nicht die Unabhängigkeit. Bei der Beratung, ob wir uns trennen oder nicht, richten wir uns nach unserer Einschätzung, was den Klassenkampf am besten voranbringen würde – und in diesen beiden Fällen ist die Unabhängigkeit derzeit nicht erforderlich, um die nationale Frage „von der Tagesordnung zu bringen“ sind immer noch möglich. In Katalonien hat sich die Bevölkerung bereits entschieden, sich in einem formellen Referendum zu trennen, so dass sich die Achse von der Verteidigung des SelbstbestimmungsRECHTES zur Verteidigung des SelbstbestimmungsAKTES verlagern muss.

    Die Unabhängigkeit für Katalonien zu unterstützen bedeutet nicht, dass wir die bürgerlichen Nationalisten politisch unterstützen, die derzeit die katalanische Generalität regieren, einschließlich der katalanischen europäischen demokratischen Partei (PDeCAT) von Präsident Carlos Puigdemont. Wir verteidigen jedoch Puigdemont und seine Regierung gegen jegliche Repressionsversuche Madrids und fordern den sofortigen und bedingungslosen Rückzug aller spanischen Polizei- und Militäreinheiten aus Katalonien.

    Bis zur Erlangung der Unabhängigkeit können sich viele katalanische Arbeiter täuschen lassen, sie hätten ein gemeinsames Interesse an katalanischen Kapitalisten. Die Trennung von Spanien würde die Bedingungen schaffen, unter denen diese Illusionen zerschlagen werden können. Die Marxisten versuchen, die arbeitenden Menschen um ein Programm der proletarischen Revolution auf der gesamten Iberischen Halbinsel als einen Schritt in Richtung einer sozialistischen Vereinigten Staaten von Europa zu vereinen.“

    –(google übersetzung, von mir leicht bearbeitet)

    http://bolshevik.org/statements/ibt_20171015_catalonia_independence.html

    • Tja, das:

      „In Catalonia, the population has already decided to separate in a formal referendum, so the axis must shift from defending the right to self-determination to defending the act of self-determination.“ /

      „In Katalonien hat sich die Bevölkerung bereits entschieden, sich in einem formellen Referendum zu trennen, so dass sich die Achse von der Verteidigung des SelbstbestimmungsRECHTES zur Verteidigung des SelbstbestimmungsAKTES verlagern muss.“

      bestreite ich in seiner analytischen Prämisse.

      Es kann m.E. nicht ignoriert werden, daß sich die Mehrheit der Abstimmungsberechtigten an dem Referendum gar nicht erst beteiligt hat und daß die separatistischen Parteien auch im katalanischen Parlament nur aufgrund eines verzerrenden Wahlrechts eine Mehrheit haben.

    • ein IBT unterstützer hat auf FB den satz:

      „In Katalonien hat sich die Bevölkerung bereits entschieden, sich in einem formellen Referendum zu trennen, so dass sich die Achse von der Verteidigung des SelbstbestimmungsRECHTES zur Verteidigung des SelbstbestimmungsAKTES verlagern muss.“

      folgendermassen erläutert:

      „wenn nun die katalonische Regierung aufhört rumzueiern und sich konkret für eine Unabhängigkeit ausspricht, und diese auch dann sofort umsetzt, dann verteidigen wir das, wird ja genug Druck von Spanien, EU usw. dann auf Katalonien hereinprasseln. Nicht mehr, nicht weniger.“

      dies scheint mir ein völlig korrekter standpunkt zu sein.

  8. Aus einer Diskussion bei Facebook. Paul Cockshott ist ein schottischer marxistischer Ökonom, seinen Disskussionsgegner kenne ich nicht.

    M.A.S.: So what about white majority of Pacific Northwestern US? Would you support their separation into a white ethnic Volkstaat? What about the Confederate States of America?

    If a majority of people in the Pacific Northwestern states voted for independence from the US, but the largest coalition member backing independence were white nationalists, would you support it, yes or no? According to you, all it takes is modern suffrage and a majority in a particular territory.

    PC: If a majority of the State of Washington voted to have independence, obviously that should be respected. This is such a basic democratic point that 1 dont see why you ask.
    So what if a Pacific NW Volkstaat wanted to declare independence and got majority support?

    M.A.S.: Modern states aren’t universal suffrage regimes, but nativist suffrage ones. The immigrant and migrant worker population (and in the US also many felons; and passive suppression of working class and especially working class of color vote in general) is disenfranchised.

    P.C.: There are two questions. 1, should a socialist party in a territory advocate a vote for independence, 2, if a vote takes place should the majority vote be honoured. I would say that on the first case the answer is conjunctural, based on a judgement by the socialists in the territory in question. On 2, the answer is unconditionally yes, socialist parties must commit to respecting majority votes.

    Neo: What do you mean with „respecting“? When a majority takes their part of the country to independence then that is is. As every citizen of this new state socialists have to follow the new rules or go to jail as in the old state. But of course they can even then argue that this independence does the workers no good for instance. Or the other way round as it could happen in Catalonia.

    P.C.: By respecting I mean a. Not advocating in their press that the majority vote be overridden, b. If the existing state tries to supress or ingore the vote, then they should agitate and organise for it to be respected. Socialists in the original ruling state should agitate against any attempt by the ruling powers to suppress the vote or the result. Similarly if a vote goes against independence the socialists should oppose any attempt by nationalists to still go ahead and force independence.

    Neo.: „The immigrant and migrant worker population is disenfranchised“ is important for Spain/Catalonia too with its sizable north african part of the class.

    M.A.S.: Exactly why I am questioning Catalan chauvinist tailism.

    The worst part about sub-Stalinist tailism of the lowest vintages of bourgeois nationalism is how transparently opportunistic, unconvincing, and pathetic it is. They think by tailing this there will be any dividends paid the left, but nobody will notice or care for the geriatric politics pulled into tow, the nationalists will pocket the pro bono agitation like pennies found in the couch, and the sectarians will remain where they started. Cockshott really supports this because of his Scottish fantasies, which I suppose while more pathetic is at least better than sincerely being willing to support white nationalists.

    P.C.: What you call sub-Stalinist tailism is simply the literal application of Lenin’s line on self determination. Since Stalin was the person delegated to lead the policy of the Bolsheviks on the national question, I suppose you could argue that Lenin was in this context a sub-Stalinist, but the arguments of Lenin on the Right of Nations to Self Determination are, I think, clearer and less given to nationalist concessions than those of Stalin in his roughly contemporaneous pamphlet on the National Question.
    ____

    Cockshotts formeller Leninismus in der Nationalitätenfrage scheint mir ein gutes/schlechtes Beispiel dafür zu sein, wo man landet, wenn das Bestehen auf demokratischen Verfahren völlig absieht von den Inhalten, über die abgestimmt wird. Dann haben halt Separatisten „recht“, weil sie die Mehrheit sind und man braucht nicht mehr zu fragen, warum sie eigentlich raus wollen aus ihrem bisherigen Staat.
    Und weil es sich linke Anhänger dieser Art von Leninismus nicht anhängen lassen wollen, daß sie doch nur sturzdemokratische Nationalisten sind oder immerhin bejubeln, erfinden sie regelmäßig die schlimmste nationale Unterdrückung gegen die, die sie beschlossen haben zu unterstützen und ihnen „Recht“ zu geben. Was man am Beispiel Katalonien eben wieder mal verfolgen konnte.

  9. Wenn TAP schreibt:

    „„In Katalonien hat sich die Bevölkerung bereits entschieden, sich in einem formellen Referendum zu trennen, so dass sich die Achse von der Verteidigung des SelbstbestimmungsRECHTES zur Verteidigung des SelbstbestimmungsAKTES verlagern muss.“
    bestreite ich in seiner analytischen Prämisse.“

    dann stimme ich dem zu. Sowohl IBT als auch die IKL thematisieren die Frage, wer in der nun wirklich nicht homogenen katalonischen Gesellschaft eigentlich welche Position hat und warum überhaupt nicht mehr, sondern sehen nur noch eine „katalanische Nation“, die eben Recht hat. Da sind dann die Fragen, ob die wenigstens die Mehrheit hinter sich hat und was es eigentlich bedeutet, wenn in einer so zentralen Frage für die Zukunft des Landes die Auffassungen 50:50 gegenüberstehen, nebensächlich geworden. Hauptsache, es geht gegen den franquistischen Nachfolgestaat. Also eigentlich um einen Kampf gegen den Faschismus, wenigstens Post-Faschismus.

  10. „dann bleibt nur ein neues referendum – und bitte ohne polizeiknüppel.“

    Soll das wirklich dein Vorschlag für eine linke Position in Katalonien sein?
    Wenn nur xx % Wahlbeteiligung erreicht werden und dann 50 % aller Wahlberechtigten für Abtrennung stimmen, dann soll es das halt sein, auch für die Linke??
    Muß nicht erstmal geklärt werden, was das denn überhaupt für ein Projekt ist, was die Separatisten auf ihre Fahnen geschrieben haben, ehe man dann entscheidet, ob man „Ja“ oder „Nein“ empfiehlt? Wenn man denn den Werktätigen überhaupt eine Teilnahme empfiehlt.

    • nö. 😉
      nö im sinne von, dass es bei der „nationalen frage“ nicht um den (positiven) inhalt eines „projektes“ geht, sondern um die (negative) beseitigung eines (schweren) hindernisses für „soziale kämpfe“ (im allgemeinen, für klassenkämpfe im besonderen)

  11. Und du meinst, daß es im Falle Spanien/Katalonien so „(schwere) hindernisse für „soziale kämpfe“ (im allgemeinen, für klassenkämpfe im besonderen)“ gibt, daß Linke unbedingt für die Unanhängigkeit Kataloniens eintreten müßten?

    • @ neoprene: im moment erscheint mir dieser gedanke vernünftig, aber er ist natürlich nicht in stein gemeisselt

      @TaP: ach, und der spanische nationalismus hat keinen anteil an der misere?

      • Doch schon; im Gegensatz zum span. Staat befürworte ich ja das Recht auf Lostrennung. Vermutlich wäre es pragmatisch sinnvoll gewesen, die PP hätte 2006 nicht – oder jedenfalls nicht in dem tatsächlichen Umfang – gegen das neue Autonomiestatut geklagt, sondern zumindest einem Teil der Bestimmungen, die vom Verfassungsgericht gekippt wurden, als verfassungsänderndem Gesetz zugestimmt. –

        Aber:

        1. In einer Situation, in der die meisten Linken von dem Umstand, daß ein Recht auf Lostrennung zu befürworten ist, auf die Befürwortung der Lostrennung selbst fehlschließen, muß m.E. vorrangig dieser Fehlschluß kritisiert werden.

        2. Würde in der Linken die Ablehnung eines Rechts auf Lostrennung dominieren, müßte diese Position vor allem kritisiert werden.

        3. Allein der Umstand, daß ein Recht auf Lostrennung verweigert wird (was für die allermeisten Staaten gilt), rechtfertigt nicht, die Lostrennung nun aus kleinlicher Rachsucht vorzunehmen.

        Auch ein paar mehr Kompetenzen hier oder da (auf zentraler oder regionaler Ebene) rechtfertigt m.E. noch keine Lostrennung.

        Im übrigen sind die KatalanInnen vollwertige spanische StaatsbürgerInnen; sie dürfen ihre Sprache sprechen und schreiben; sie dominiert im katalanischen Straßenbild; sie sind nicht ökonomisch marginalisiert, sondern – im spanischen und globalen Vergleich – bevorteilt.

        4. Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Keinesfalls sind also die Bundesregierung oder die EU aufzufordern, sich in den Konflikt einzumischen.

        5. Nationalistische Massenbewegungen – und seien es ‚linksnationalistische‘ Massenbewegung – bieten noch weniger als reformistische Sozialproteste Anlaß zu Bewegungseuphorie.

  12. „und der spanische nationalismus hat keinen anteil an der misere“
    Geht das auch in bißchen konkreter? Im Fall von Katalonien haben wir doch eh schon eine sehr weitgehend autonome Region. Was für Verbrechen lastest du denn dem spanischen Nationalismus an? Und wer vertritt den, Jajoy, die Verfassung, die (Post-)Faschisten?

  13. na, mir reichen die bilder von prügelnden polizisten, die leute daran hindern an wahlen (sic!!) teilzunehmen. wenn euch das nicht aufregt, dann solltet ihr über euer „linkssein“ vlt noch mal intensiv reflektieren und vlt andere politische heimaten aufsuchen. (die nazis, die sich mit der guardia civil verbündet haben, will ich gar nicht erst erwähnen)

  14. Polizisten prügeln noch in jedem bürgerlichen Staat auf alles ein, was der jeweiligen Regierung nicht paßt. Aber deshalb muß ich doch über eine Verdammung der Staatsgewalt (außer in den Fällen, wo es die für uns „richtigen“ trifft, wo ich nur darauf hinweisen würde, daß Demokraten Faschisten zwar verprügeln, aber nicht kritiiseren können) hinaus mich nicht auch inhaltlich auf die Seite der Verprügelten stellen. Wenn die was Blödes gemacht habe oder machen wollen, dann wird es durch Staatsrepression jedenfalls nicht geadelt und unterstützenswert.

    • Willst Du ernsthaft der These von Neoprene,

      „Aber deshalb muß ich doch über eine Verdammung der Staatsgewalt […] hinaus mich nicht auch inhaltlich auf die Seite der Verprügelten stellen. Wenn die was Blödes gemacht haben oder machen wollen, dann wird es durch Staatsrepression jedenfalls nicht geadelt und unterstützenswert.“

      widersprechen?

  15. ich widerspreche, dass die was „blödes“ gemacht haben. diese arrogante GSP-sprache geht mir tierisch auf den senkel. mag sich ja jeder sein intellektuelles himmelreich schaffen, aber über menschen so zu sprechen, die für ihre überzeugungen sich einer riesig überlegegen staatsmacht aussetzen, geht an meine toleranzgrenze. viel weiter sollte er auch nicht gehen, sonst hole ich mal meine stalin-keule hervor 😉

  16. Ich gebe zu bedenken, daß die Unterstützung von Nationalisten in Wort und Tat mit „linkssein“ herzlich wenig zu tun hat. Es mag manchen geben, der zu „blöd“ ist, das zu merken, er bekommt es aber trotzdem hinterher regelmäßig reingewürgt. Mit dieser Unterstützung mag man mannigfach „landen“ können, aber einer sozialistischen Umgestaltung der bürgerlichen kapitalistischen Staatenwelt kommt man damit keinen Schritt näher. Mancher dieser „Fortschrittsfreunde“ mit der Nationalfahne in der Hand wird da wohl eher in der bekannten „politischen Heimat“ von solchem Gedankengut landen. Die Nazis will ich erst gar nicht erwähnen.

  17. „über menschen so zu sprechen, die für ihre überzeugungen sich einer riesig überlegegen staatsmacht aussetzen, geht an meine toleranzgrenze“
    Jeder unseres Alters hat selbst in Deutschland schon manche Bewegung gesehen, der sowas passiert ist, von Brokdorf bis zur Startbahn West und den RAFlern. Das wurde alles nicht besser durch diese Staatsgewalt, obwohl damals viele diesen blöden Umkehrschluß gezogen haben.

  18. nur, dass Brokdorf, Startbahn West und RAF was anderes waren als eine wirkliche „nationalbewegung“. (die meines erachtens in Katalonien existiert. man kann ja ihre ziele und absichten nach herzenslust kritisieren, aber ihr recht auf einen eigenen staat bleibt bestehen. und als kommunist oder linker muss man dem rechnung tragen. dass sich die ultralinken dem verweigern, ist mir bekannt; macht aber die sache nicht richtiger. auch wenn ich sonst durchaus einige ultralinke sympathien habe 😉 )

    • Aber die RAF sowie die Anti-AKW- und Anti-Startbahn-West-Bewegung – und selbst die Sozialproteste der 2000er Jahre – waren doch alle mal besser
      zum inhaltlichen leninistischen Anknüpfen besser geeignet als irgendein (und verstehe er sich als links) Nationalismus.

  19. inhaltlich magst du recht haben. aber bei einer nationalbewegung sehe ich halt die grössere „demokratische legitimität“. dass diese nicht unbedingt „revolutionäre“ ergebnisse zeitigt, ist mir auch klar. aber darum muss man eben in solche bewegungungen intervenieren. (solange sie nicht eindeutig reaktionär sind/werden)

  20. @ systemcrash (Oktober 16, 2017 um 7:08 pm ):

    „und mir scheint die durchsetzung der unabhängigkeit Kataloniens ein unvermeidlicher schritt zu sein, wenn man langfristig an einer ‚gesamt-iberischen‘ lösung arbeiten möchten.“

    Wieso ist es denn Deines Erachtens nicht einen Versuch Wert, die linken BefürworterInnen einer Lostrennung davon zu überzeugen, daß diese Unsinn ist – zumal augenscheinlich weder die linken noch erst die nicht-linken BefürworterInnen der Unabhängigkeit diese bis zum bitteren Ende ausfechten wollen (sondern irgendwo zwischen weitgehend gewaltfreiem zivilen Ungehorsam und diplomatischem Lavieren schwanken)?

    • weil das nur den status quo erhält, obgleich der konflikt unterirdisch weiterschwelt. aber letztlich entscheiden natürlich die kräfteverhältniss, welche taktik die geeigneteste ist.

  21. ++ FAU-VA zu #Katalonien am Fr. ab 19:30 Uhr in Berlin:

    Nationalismus und Emanzipation in Katalonien. Fragen an den Referenten

    http://infopartisan.net/Fragen_an_den_Referenten.pdf / http://infopartisan.net/

    ++ Katalonien: „Emphatische Demokratie“ und das Gewicht von Verfassungen

    https://www.heise.de/tp/features/Katalonien-Emphatische-Demokratie-und-das-Gewicht-von-Verfassungen-3871045.html

    ++ Vorläufige Einschätzung des Antrages der spanischen Regierung an den spanischen Senat, die Region Katalonien im Wege des Art. 155 CE zur Einhaltung der spanischen Verfassung zu zwingen

    Klicke, um auf Provisorische_Einschaetzung.pdf zuzugreifen

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