Gedanken zum Jahreswechsel

„Deshalb hasse ich diese Jahreswechsel mit unverrückbarer Fälligkeit, die aus dem Leben und dem menschlichen Geist ein kommerzielles Unternehmen mit seinem braven Jahresabschluss, seiner Bilanz und seinem Budget für die neue Geschäftsführung machen. Sie führen zum Verlust des Sinns für die Kontinuität des Lebens und des Geists. Man endet dabei, ernsthaft zu glauben, dass es vom einen Jahr zum anderen eine Auflösung der Kontinuität gäbe und dass eine neue Geschichte begänne, und man entwickelt Vorsätze und bereut Fehler, usw., usf. Das ist allgemein eine Unbill der Daten.“ (Antonio Gramsci)

ursprünglich hatte dieser blog mal als politisches mittel aus ‚linksradikaler‘ sicht gedient. mittlerweile habe ich mich auf filmbesprechungen fokussiert. diese haben für mich den vorteil, frei von der leber schreiben zu können, während ich bei ‚politischen‘ texten bei jedem komma dutzende fürs und widers abwägen muss. darauf habe ich schlicht und ergreifend keinen bock mehr. wenn es wenigstens einigermassen sinnvolle ansätze von ‚linker‘ seite geben würde, sähe die sache womöglich anders aus. aber so bleibt nur die möglichkeit, eine ‚rekonstruktion‘ emanzipatorischer politik auf der höhe der zeit zu versuchen. ein versuch, der von der natur der sache her nur kollektiv geleistet werden kann, – wenn es denn ein solches kollektiv gäbe.

nach fünf jahren job bei einer ‚technischen störungshotline‘ sagt mir meine erfahrung, dass das ‚volk‘ immer ‚dümmer‘ wird und aus einen ‚wir‘ schnell ein wirr wird. da an konzepten wie ’selbstorganisation‘ und ’selbststeuerung‘ zu glauben, ist nicht nur abwegig, sondern geradezu realitätsverleugnung. unter solchen bedingungen kann es bestenfalls gelingen, das eigene haus möglichst sauber zu halten (und auch das gelingt nur bedingt) und seine energien nicht in unnötigen auseinandersetzungen zu vergeuden. stürme im wasserglas nützen niemanden, – ausser vielleicht dem ego einiger selbst erwählter gurus.

während der ‚alte‘ Marxismus sich noch auf eine aufstrebende arbeiterbewegung stützen konnte (die aber auch schon zur genüge ihre eigenen probleme hatte) und sich im wesentlichen auf die seinerzeitige kritik der philosophie, wirtschaftstheorie und politik konzentrierte, müsste eine zeitgemässe emanzipatorische theorie eine vielzahl unterschiedlicher theorien und konzepte berücksichtigen, ohne dafür eine soziale basis zu haben. (die basis ’neuer sozialen bewegungen‘ wäre ein thema für sich, was ich hier nicht diskutieren will)

nach über 40 jahren neoliberaler offensive ist der bewusstseinsstand ‚breiter bevölkerungsschichten‘ nahe dem nullpunkt. vielleicht lässt sich über klimakrise und energiepolitik noch das eine oder ander richten, aber mir scheint eine profunde kulturskepsis angebracht zu sein. diese ‚zeitenwende‘ muss aber die jüngere generation leisten; die leute, die in der post-68er-zeit gross geworden sind, haben schon lange ihr pulver verschossen. die alte ’neulinke‘ ist tatsächlich tot; untergegangen mit dem ehemaligen ‚ostblock.‘ ihre noch verbliebenden rudimente vegetieren nur noch als zombiekonventikel (oder als elitäre bildungszirkel).

obwohl ich dieses jahr null weihachtsfeeling habe, scheint mir die epochale botschaft friede auf erden und den menschen ein wohlgefallen immer noch von grundsätzlicher bedeutung zu sein. nur der weg dorthin (wenn es ihn denn gibt) ist womöglich steiniger als jemals zuvor. daher seien an die worte von Antonio Gramsci erinnert:

„Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“