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Das „linksunten“-Verbot: eine Nemesis für die Linke?

Das Wichtigste zu den Fällen „linksunten.indymedia“ und „Radio Dreyeckland“

von systemcrash1

Vorbemerkung: Die FAQ zu linksunten und Radio Dreyeckland von dgs sind bei de.indymedia teilweise erschienen (https://de.indymedia.org/node/315071) und im FREITAG-blog als „Halloween-Serie“ (https://www.freitag.de/autoren/dgsch/faq-linksunten-indymedia-rdl-halloween-kalender-gruselgeschichten-aus-dem-deutschen-rechtsstaat)

Das linksunten-Verbot als Zäsur

Die politische Tätigkeit ist keine gerade Prachtstrasse (frei nach Lenin 2)

Das 2017 vom Bundesinnenministerium verfügte linksunten-Verbot stellte (jedenfalls als zeitliche Koinzidenz) einen Einschnitt für die Linken in der BRD dar:

Das Verbot von linksunten fiel in eine Zeit, in der die „autonome“ Szene noch mal zeigte, dass sie Mobilisierungspotential entfalten konnte. Wie immer man die Umstände von damals im einzelnen bewerten mag – Fakt ist, es wurde der Staatsfeier mächtig in die Suppe gespuckt. Und diese Schmach wollte der Staat nicht auf sich sitzen. Und seitdem hat die Linke (sofern diese Sammelbezeichnung überhaupt einen Sinn hat, woran man zweifeln kann) erhebliche Probleme, für ihre Anliegen Gehör zu finden. Das liegt sicherlich nicht nur an dem linksunten-Verbot (die Covid-19-Pandemie und der Ukraine-Krieg sowie eine zunehmende [„postmoderne“, „relativistische“] Unverbindlichkeit in der Gesellschaft mögen weitere Faktoren sein) und ist auch nicht nur ein deutsches, sondern ein internationales Problem.

Aber klar ist jedenfalls: linksunten war ein plurales Organ der Linken (wenn auch mit Schwerpunkt autonom/anarchistisch), wo jeder was zu beitragen konnte (also auch die Initiative aus der Nachbarschaft oder die lokale Antifa-Gruppe). Und so etwas fehlt heute dringend (auch wenn inzwischen de.indymedia wieder vermehrt genutzt wird), wenn ein Selbstvertrauen für emanzipatorische Politik wiedergefunden werden soll – Selbstvertrauen in die Wirkmächtigkeit linker Politik, denn diese ist schwer angeknackst.

2017 hatte das Bundesinnenministerium die Auflösung des „Vereins ‚linksunten.indymedia‘“ verfügt. In Wirklichkeit war linksunten.indymedia aber kein Verein, sondern eine internet-Plattform – also ein Medium. Der HerausgeberInnenkreis dieses Mediums bzw. der BetreiberInnenkreis dieser internet-Plattform mag in der Tat ein Verein gewesen sein, hieß aber nicht „linksunten.indymedia“, sondern „IMC linksunten“.

Jedenfalls wurden die Inhalte der internet-Plattform nach dem Verfügung des Innenministeriums erst einmal aus dem Netz genommen. 2020 wurden diese mit einem neuen Vorwort erneut – nunmehr als Archiv (statt als aktive internet-Plattform mit laufend neuen Artikeln) – ins internet gestellt.

Der Fall „Radio Dreyeckland“

2022 schließlich verlinkte der Journalist Fabian Kienert auf der Webseite seines Senders, Radio Dreyeckland (Freiburg), in einem Artikel eben dieses Archiv. Das brachte ihm seitens der Staatsanwaltschaft Karlsruhe, der baden-württembergischen Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für politische Strafsachen, den Vorwurf der Unterstützung einer verbotenen Vereinigung, nämlich des 2017 verbotenen „Verein[s] ‚linksunten.indymedia‘“, ein.

Während sich die grundsätzliche Bedeutung jener beiden Rechtsfälle einigermaßen klar umreißen lässt, sind deren juristischen Feinheiten teilweise recht kompliziert und schwer zu verstehen. Detlef Georgia Schulze hat deshalb einen ziemlich umfangreichen FAQ-Katalog mit Fragen und Antworten zu den beiden Fällen verfasst.

Diese FAQ möchte ich zum Anlass nehmen, eine – weniger kleinteilige, weniger schematische (als die FAQ von dgs) – eher narrative Gesamtschau auf den Komplex „linksunten-Verbot“ und seine Folgen vorzulegen.

(Screenshot aus dem FREITAG-blog von dgs)

Am Anfang der Geschichte: Vermengung von Internetplattform und BetreiberInnenkreis der Internetplattform durch das BMI

Die ganzen Schwierigkeiten begannen schon damit, dass in der verbots-begleitenden Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums (BMI) gesagt wurde, dass die „Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst“ worden sei. In der Verbotsverfügung selbst war aber nicht von dem Verbot einer internet-plattform die Rede; sondern davon, dass der „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ verboten sei und aufgelöst werde.

Während der Betreiberkreis von linksunten – wie schon gesagt – in der Tat ein „Verein“ gewesen sein kann (der Vereins- bzw. „Vereinigungs“-Begriff im Vereins-3 und Verfassungsrecht ist sehr weit), sind internet-Plattformen keine Vereine, sondern allenfalls Medien von Vereinen. Die mainstream-Medien hielten sich nach dem Verbot an den falschen Sprachgebrauch der BMI-Pressemitteilung und nicht an den Wortlaut der Verbotsverfügung und trugen damit zur Täuschung der Öffentlichkeit über das tatsächliche Verbotsobjekt bei. Auch die AnwältInnen der VerbotsadressatInnen traten dieser Täuschung nicht entgegen.

Dabei ist noch nicht einmal der Sprachgebrauch als solcher das Hauptproblem. Größer ist das Problem, dass die Medien davon sprachen, daß eine internet-Plattform (also: ein Medium; genauer: ein sog. Telemedium) verboten worden sei, aber es keinen Aufschrei dagegen gab. Dass Vereine verboten werden, ist dagegen in der deutschen Rechtsgeschichte schon vorgekommen; es sind ja auch schon Parteien verboten worden.

Zum Unterschied zwischen Vereinigungsfreiheit einerseits sowie Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit andererseits

Dass Vereine bzw. Vereinigungen verboten werden können bzw. unter bestimmten Voraussetzungen verboten sind, steht ganz klar in Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html)

Auch die Presse- und Meinungsfreiheit ist zwar (mit gutem Grund!) nicht unbegrenzt; Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz (in dessen Absatz 1 es unter anderem um die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit geht) lautet:

„Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

(https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html)

Das ist eine sog. Grundrechtsschranke. In Artikel 5 Absatz 1 findet sich aber – außer den Grundrechten, die durch Absatz 2 beschränkt werden – auch noch eine sog. „Schranken-Schranke“, das Zensurverbot in Absatz 1 Satz 3: „Eine Zensur findet nicht statt.“ (Schranken-Schranke meint soviel wie, dass die Beschränkung selbst wiederum nicht unbegrenzt sein darf)

Zensur im juristischen Sinne / Zum Unterschied zwischen präventiven und nachträglichen Eingriffen in die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit

„Zensur“ im juristischen Sprachgebrauch ist nicht jeder Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit und die Medienfreiheiten, sondern ausschließlich die sog. Vor-Zensur (der Staat prüft Medien vor ihrer etwaigen Veröffentlichung und sagt dann, ob sie veröffentlicht werden dürfen oder nicht; das komplette Verbot des künftigen Erscheinens eines Medium kann als gesteigerte Form einer solchen klassischen Vor-Zensur betrachtet werden4).

Dies führt nun zu folgender Unterscheidung:

  • Nachträgliches straf- und zivilrechtliches Vorgehen wegen bereits erfolgter Veröffentlichungen ist auf der Grundlage von Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.
  • Präventives (verwaltungs-, genauer: polizeirechtliches) Vorgehen gegen noch nicht erfolgte Publikationen ist dem Staat dagegen durch das Zensurverbot untersagt. Ein Verbot des künftigen Erscheinens eines bestimmten Mediums (oder bestimmter Medien oder gar aller Medien) wäre eine solche – im publizistischen Bereich unzulässige – Präventivmaßnahme.

Dessen ungeachtet darf der Staat Vereine unter bestimmten Voraussetzungen verbieten, bzw. sie sind unter bestimmten Voraussetzungen verboten: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass ein Verein (= eine Vereinigung) eine Vereinszeitung herausgibt.5 Nicht das Medium wird dann verboten, sondern der HerausgeberInnen-/BetreiberInnenkreis, der das Medium herausgibt. Diese rechtliche Maßnahme hat dann leicht den faktischen Effekt, dass dann das Medium / die Medien dieses Vereins nicht mehr erscheinen, da sich keine neuen HerausgeberInnen für sie finden. Dass dabei mit dem Vereinsverbot auch in das Grundrecht zumindest eingewirkt wird (Leser und Autoren sind ja mitbetroffen), spielt dann nur eine untergeordnete Rolle.6

Große Überraschung: Das Bundesverwaltungsgericht entschied 2020, dass gar kein Medium verboten wurde / dass „unter der Internetadresse ‚linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals“ nicht verboten worden ist

Die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, (bestimmte) Medien zu verbieten, ist allerdings inzwischen eh Schnee von gestern. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat 2020 – weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit – entschieden:

„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“

(https://www.bverwg.de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33).

Das fortbestehende Vereinsverbot und das Strafverfahren gegen Fabian Kienert (Radio Dreyeckland)

Das „Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“ wurde aber vom Bundesverwaltungsgericht – aus Gründen, die hier nicht erneut dargestellt werden sollen, nur teilweise geprüft und im Ergebnis nicht beanstandet. Hier nun kommt § 85 Strafgesetzbuch ins Spiel, nach dem sich Fabian Kienert strafbar gemacht haben soll, weil er in einem Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland das Archiv von linksunten.indymedia verlinkt hat. § 85 Strafgesetzbuch lautet:

„(1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt

1.[…]

, oder

2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist,

aufrechterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar.

(2) Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) § 84 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend.“

(https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html)

Zwar nicht juristische LaiInnen, wie ich selbst, aber juristisch geschulte Augen erkennen an der Formulierung, „Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist,“ (statt zum Beispiel: „Vereinigung, die rechtmäßig verboten wurde,“) das erste Problem an dem Paragraphen. § 85 StGB ist ein sog. Ungehorsamsdelikt. Bei einem Ungehorsamsdelikten wird nur geprüft, ob ein Verstoß gegen das Verbot vorliegt, aber nicht, ob dieses Verbot selbst rechtmäßig ist. Etwas genauer gesagt, kommt es im Rahmen des § 85 StGB darauf an, ob das Verbot „unanfechtbar“ geworden ist. „Unanfechtbar“ wird ein Vereinsverbot dadurch, dass

  • entweder innerhalb der einmonatigen Klagefrist gar nicht erst Klage erhoben wird
  • oder fristgemäß erhobene Klagen vor Gericht scheitern.

Dabei kommt es wiederum nicht darauf an, ob das oder die zuständigen Verwaltungsgericht(e) als Verbot als rechtmäßig beurteilen oder aber (wie im Falle linksunten) – aus bestimmten verfahrensrechtlichen Gründen – die Rechtmäßigkeit des Verbots gar nicht erst prüfen. Allein auf Ausbleiben von Klagen bzw. Ausbleiben des Erfolgs der Klage kommt es an; auf die Gründe eines etwaigen Mißerfolgs dagegen nicht.

Das heißt, im Verfahren gegen Fabian Kienert geht es jetzt vor allem noch um zwei Fragen:

Existierte der verbotene „Verein“ bei Veröffentlichung von Fabian Kienerts Artikel noch?

Für die Staatsanwaltschaft kommt es in dem Verfahren gegen Kienert unter anderem darauf an, herauszufinden, ob bzw. beweisen zu können, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels der „Verein“ noch existierte. Denn nur ein (noch) existierender Verein kann unterstützt werden; was nicht (mehr) existiert, kann auch nicht (mehr) unterstützt werden.

Vermutlich unter anderem, um Beweise zu finden, dass die Durchsuchungs-Betroffenen auch das Archiv von linksunten hochgeladen haben und, dass deren „Verein“ auch im Sommer 2022, als Kienert seinen Artikel veröffentlichte, noch existierte, wurden Anfang August erneute Durchsuchungen bei vermeintlichen Mitgliedern des alten BetreiberInnenkreises (= diejenigen, denen am 25.08.2017 auch die Verbotsverfügung übergeben wurde) durchgeführt. Es wurden Speichermedien sichergestellt, die aber erst noch ausgewertet werden müssen (wenn sie sich auswerten lassen).

Hat Fabian Kienert das linksunten-Archiv bloß berichtend oder vielmehr (auch) identifikatorisch verlinkt?

Aber erst einmal zurück zu dem Verfahren gegen Kienert. In dem Verfahren kommt es außerdem unter anderem darauf an, ob die Verlinkung des linksunten-Archivs in seinem Artikel identifikatorisch war, das heißt, über das rein Berichtende hinausging und (vielmehr) als „Unterstützung“ gelten kann.

Der bisherige Verfahrensgang

Ende April hatte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren abgeschlossen und Anklage gegen Fabian Kienert erhoben. Die Zulassung dieser Anklage bzw. die Eröffnung des Hauptverfahren (was zwei Bezeichnungen für ein- und dasselbe sind) hatte das Landgericht Karlsruhe ursprünglich abgelehnt. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde beim Oberlandesgericht Stuttgart eingelegt, der – durchaus etwas überraschend für interessierte Beobachter dieses Falles – stattgegeben wurde.

Dabei geht das OLG davon aus, dass das Archiv auf den Weiterbestand des Betreiberkreises hinweist. Damit übersieht es aber, dass das Archiv auch von anderen Leuten oder nur einer Person hochgeladen worden sein könnte, die gar nichts mit den alten Betreibern zu tun hatten oder haben.

Außerdem ist das OLG der Auffassung, dass die in dem Artikel vorgenommene Verlinkung des linksunten-Archivs mit identifikatorischer/werbender Tendenz für den verbotenen Verein erfolgt sei.

Die Bewertung des Artikels durch das OLG als „werbend“ basiert auf einem ungenauen Zitieren, was hoffentlich in einer mündlichen Verhandlung, die irgendwann in den nächsten Monaten – dann wieder vor dem Landgericht Karlsruhe – stattfinden wird, dargelegt kann werden.

Ein neues Ermittlungsverfahren gegen vermeintliche Mitglieder des alten BetreiberInnenkreises

Bei den erneuten Durchsuchungen bei vermeintlichen Mitgliedern des alten BetreiberInnenkreises ging es nicht nur darum, Beweise dafür zu finden, dass der verbotene „Verein“ auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels von Kienert noch existierte – also durch diesen unterstützt werden konnte. Vielmehr hätten sie sich durch das Hochladen des Archivs auch selbst strafbar gemacht, denn einem verbotenen Verein ist jegliche Aktivität untersagt. Es gibt also gegen die alten Betreiber auch ein neues Ermittlungsverfahren.

Die linke und linksliberale Kritik daran war im wesentlichen, dass schon das alte Verfahren gegen die gleichen Beschuldigten nichts gebracht hat, sondern 2022 eingestellt worden war: Was solle dann das neue Verfahren bringen?

Und der zweite Kritikpunkt war, dass eine statische Archiv-Seite etwas anderes ist als eine aktive open posting-Plattform.

Gegen den ersten Kritikpunkt spricht allerdings, dass es in dem alten Verfahren vor allem um den kriminellen Charakter der Vereinigung ging – weniger, um die Frage, ob es eine Vereinigung überhaupt gibt (letzteres schien der Staatsanwaltschaft eh klar zu sein). Jetzt kommt es dagegen nicht speziell auf den kriminellen Charakter an, sondern darauf, ob die verbotene Vereinigung nach dem Verbot und insbesondere zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Fabian Kienerts Artikel noch existierte.

Und der zweite Hinweis (Unterschied zwischen aktiver open posting-Plattform und bloßem Archiv einer solchen) ist zwar sachlich richtig, ist aber juristisch irrelevant, da einem verbotenen Verein – wie bereits oben schon erwähnt – alle Handlungen untersagt sind.

Kann noch was „gerettet“ werden aus dem Schlamassel?

Klar ist jedenfalls: Die Klagen gegen das linksunten-Verbot scheiterten, und die „Linke“ (sofern diese Sammelbezeichnung überhaupt Sinn macht, was mit guten gründen bezweifelt werden kann und darf) sich wohl auf einem (zumindest gefühlten) Tiefpunkt der Desolatheit befindet.

Für die „Linke“ kann es jetzt im wesentlichen nur darum gehen, die Lehren aus diesen Erfahrungen zu ziehen und Fabian Kienert unsere Solidarität zu zeigen. Dazu sollte auch gehören, nicht nur geltend zu machen, daß Fabian Kienerts Artikel harmlos berichtend war und sich der alte BetreiberInnenkreis dem Verbot gebeugt und brav aufgelöst hat, sondern zu versuchen, zumindest etwas aus der Defensive herauszukommen. Das würde heißen, den oben dargestellten Charakter von § 85 StGB als Ungehorsamdelikt (samt der dahinterstehenden obrigkeitsstaatlichenn Pickelhauben-Ideologie) anzugreifen:

  • Dies könnte zum einen politisch geschehen, in dem aktiv Ungehorsam (gegen das linksunten-Verbot) geleistet wird. Das müsste natürlich in einem breiteren Maßstab geschehen, der den Gerichten mehr Arbeit macht, als sie bewältigen können.
  • Und es könnte zum anderen verfassungsrechtlich geschehen, indem geltend gemacht wird, dass (1.) die strafrechtliche Abstraktion von der Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit von Vereinsverboten verfassungswidrig sei (zum Beispiel, weil sie dem Gebot des Gesetzesbindung der Staatsgewalt in Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz7 widerspreche) und es sich (2.) vorliegend um ein rechtswidriges Vereinsverbot handele8. (Der zumindest vordergründig naheliegende Gegeneinwand [gegen den ersten Teil der Argumentation] lautet allerdings, daß es sich ja bei § 85 StGB zweifelsohne um ein Gesetz handelt. Das Argument müßte also komplexer entwickelt werden.9)

Würde dies gemacht, könnte sowohl die politische Frage der Durchsetzbarkeit des Verbotes als auch die juristische Frage nach der Rechtmäßigkeit des Verbots noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt werden. Beides würde allerdings einen ganz anderen Umgang mit dem Verbot als bisher erfordern:

Bisher fällt es schwer, auch nur von einer strategisch bestimmten Defensiv-Taktik zu sprechen; eher erscheint es nur als ein bloßes Wegducken. Statt dessen müsste eine Strategie entwickelt werden, wie die Linke wieder eine Strategie für Hegemonie gewinnen könnte. Dazu müsste aber endlich diese sektiererische Eigenbrödelei und Rechthaberei (aber auch jeglicher Szenedünkel) überwunden werden, und eine Form gemeinsamer Organisierung auf einer tragfähigen programmatischen Basis gefunden werden – eine Basis, die gewisse politische Mindeststandards erfüllt, aber nicht jede Detailfrage der Weltgeschichte durch ein allwissendes Zentralkomitee als ‚gelöst‘ ansieht10; also plural genug ist, Differenzen, die sich noch im Rahmem des gemeinsamen Anliegens befinden, auszuhalten. Vorderhand wäre es aber schon gut, wenn breitere Bündnisse zur „zivilen Verteidigung“ entstehen würden (die auch über die übliche szene hinausgehen); was in den guten, alten zeiten der arbeiterbewegung als „einheitsfront“ oder — bescheidener — als „aktionseinheit“ bezeichnet wurde.

Und „aushalten“ meint mehr als eine bloße Toleranz gegenüber unterschiedlichen ansichten – es ist eine Charaktereigenschaft. (Es sei ausdrücklich angemerkt, dass ich hier nicht von der „Freiheit der Andersdenkenden“ spreche, mit der man Rosa Luxemburg in eine „Liberale“ verwandeln will, sondern um Differenzen innerhalb eines definierten politischen Spektrums, die einfach für eine lebendige und gesunde Bewegung notwendig und unvermeidbar sind.)

————–

1 Mit Dank an dgs für Durchsicht des gesamten Textes und insbesondere der juristischen Passagen sowie ‚Spende‘ der Fußnoten 4 und 9.

2 „Die politische Tätigkeit ist nicht das Trottoir des Newski-Prospekts“ (das saubere, breite, glatte Trottoir der schnurgeraden Hauptstraße Petersburgs), pflegte schon N.G. Tschernyschewski [23], der große russische Sozialist der vormarxschen Periode, zu sagen. Die russischen Revolutionäre haben seit Tschernyschewski das Ignorieren oder Vergessen dieser Wahrheit mit unzähligen Opfern bezahlt. Es gilt, um jeden Preis zu erreichen, daß die linken Kommunisten und die der Arbeiterklasse ergebenen Revolutionäre Westeuropas und Amerikas die Aneignung dieser Wahrheit nicht so teuer bezahlen, wie die rückständigen Russen sie bezahlt haben.“ https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1920/linksrad/kap08.html

3 „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html)

4 Das Medium bekommt nicht einmal die Chance, die ‚Harmlosigkeit‘ seiner nächsten Ausgabe bzw. Artikel zu beweisen.

5 Allenfalls könnte versucht werden zu argumentieren, daß Vereine, die überhaupt nichts anderes machen als Medien herauszugeben, aus dem Anwendungsbereich von Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz herauszunehmen seien.

6 „Soweit der Beschwerdeführer zu II) geltend macht, das Vereinsverbot verletze ihn in seinen Rechten aus Art. 5 Abs. 1 GG, weil seine Meinungs- und Pressefreiheit beschnitten werde, ist dies im Rahmen des Schutzes der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG zu beachten. Das Grundrecht, an dem sich ein Vereinigungsverbot messen lassen muss, ist in erster Linie die Vereinigungsfreiheit; sie steht hier im Vordergrund. Das bedeutet nicht, dass die Wertungen weiterer Grundrechte im Rahmen der Prüfung am Maßstab des Art. 9 GG keine Berücksichtigung finden […]. Art. 5 Abs. 1 GG wird damit aber nicht zum selbständigen Prüfungsmaßstab. Ein Vereinigungsverbot wäre mit den Anforderungen des Grundgesetzes allerdings nicht zu vereinbaren, wenn es nur das Mittel wäre, Meinungsäußerungen oder Publikationen zu untersagen, die für sich genommen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen. […]. ein Vereinsverbot [kann] nicht schon dann auf eine politische Ausrichtung gegen die verfassungsmäßige Ordnung abstellen, wenn entsprechende Auffassungen geäußert werden, sondern erst, wenn diese Ausrichtung kämpferisch-aggressiv verfolgt wird“ (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/07/rs20180713_1bvr147412.html, Textziffer 93)

Der vorletzte Satz des Zitates hört sich zwar toll an, aber das davor und danach ist ein Hin und Her tendenziell gegenläufiger Auffassungen, mit denen sich das Bundesverfassungsgericht alle Türen für die jeweilige Einzelfall-Entscheidung offenhält:

  • Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz sei zwar zu beachten, aber im Vordergrund stehe Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz.
  • Letzteres bedeutete aber nicht, dass die Wertungen anderer Grundrechte als Artikel 9 Absatz 1 bei der Anwendung des letzteren keine Berücksichtigung finden. Dies bedeutete aber wiederum nicht, dass Artikel 5 Absatz 1 GG damit zum selbständigen Prüfungsmaßstab werde.
  • Bloße Äußerungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung genügten für ein Vereinsverbot noch nicht, wenn diese Ausrichtung „kämpferisch-aggressiv“ (eine Formel, die in Praxis sehr wohl bloße Äußerungen – eine scharfe politische Rhetorik erfasst) verfolgt wird, aber schon.

Kräht der Hahn auf dem Misthaufen am Karlsruher Schloßplatz ändert sich das Wetter – oder nicht. Mit der typischen ‚Methode‘ der Karlsruher Freirechts-Praxis werden unterschiedliche Normen in einen Topf geworfen und dann wird einmal umgerührt, statt die spezifischen Normbereiche der verschiedenen Grundrechte und die Spezifik deren jeweilige Schranken herauszuarbeiten. – Dass dabei von Rechtssicherheit (oder Berechenbarkeit des Zuschlagens der Staatsgewalt), was manche für den Kern des Rechtsstaats (der aber – entgegen linker Illusionen – schon immer eine etatistisch-antiliberale Schlagseite hatte) halten, nicht viel übrigbleibt, dürfte sich von selbst verstehen.

Bei dem im Zitat erwähnten „Beschwerdeführer zu II)“ handelte es sich um die „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“. Dass diese nicht mehr existieren darf, ist politisch keinesfalls schade, aber keine Rechtfertigung für Rechtsprechung ohne wissenschaftlich Methodik. (FN von dgs)

7 „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“

8 Rechtswidrig jedenfalls deshalb, weil das Verbotsobjekt in der Verbotsverfügung nicht hinreichend bestimmt bezeichnet war. Wie bereits gesagt, hieß der BetreiberInnenkreis von linksunten.indymedia nicht genauso wie sein Medium, sondern IMC linksunten.

Darüber hinaus kann auch bezweifelt werden, dass die Zwecke und Tätigkeit des BetreiberInnenkreis von linksunten.indymedia tatsächlich gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet waren und den Strafgesetzen zuwiderliefen. Allein damit, dass er Äußerungen von AutorInnen veröffentlichte – bzw. vielmehr: nicht löschte –, auf die diese Charakterisierungen vielleicht zutreffen, bedeutet nicht, dass diese Charakterisierungen auch auf den BetreiberInnenkreis zutreffen. (FN von dgs)

9 Ergänzend könnte sich beispielsweise auf Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz („Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“) berufen werden. In Bezug auf das ähnlich gelagerte Problem an § 20 Vereinsgesetz hatte dgs mal argumentiert: „Würde die Strafbarkeit eines Verstoßes gegen ein Vereinsverbot allein von Existenz des vom Bundesinnenministerium ausgesprochenen Verbots und nicht auch von dessen Rechtmäßigkeit abhängen, so hätte es das Bundesinnenministerium in der Hand, durch Verfügung rechtswidriger Vereinsverbote den strafbaren Bereich beliebig auszudehnen, was wiederum hieße, daß nicht der Gesetzgeber, sondern die Exekutive die Strafbarkeit bestimmen würde.“ (https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2018/09/linksuntenverstoss2.pdf, S. 3)

10 Vgl. Rosa Luxemburg: „Fehltritte, die eine wirklich revolutionäre Arbeiterbewegung begeht, sind geschichtlich unermeßlich fruchtbarer und wertvoller als die Unfehlbarkeit des allerbesten Zentralkomitees.“ (https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1904/orgfrage/text.htm)

2 Kommentare zu “Das „linksunten“-Verbot: eine Nemesis für die Linke?

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