rosa luxemburg vs. lenin?!

„Was will der Spartakusbund“ (1918)

um die unterschiede zwischen rosa luxemburg und lenin auch auf programmatischer ebene etwas deutlicher zu machen, möchte ich ein paar zitate aus dem gründungsprogramm der KPD aufführen, das von rosa luxemburg selbst geschrieben wurde. (erstveröffentlichung: Die Rote Fahne, 14. dezember 1918)

„es ist nicht nur maß und zahl in den dingen; es ist ein geist, der über allem wehen muß und der allein die proletarische revolution erheben kann zu jener geschichtlichen und ethischen größe, in der sie ihr großes ziel vollenden kann.“—paul levi, einleitung zu r. luxemburg: zur russischen revolution [1922]

Zitat:
Dieser Umbau und diese Umwälzung können nicht durch irgendeine Behörde, Kommission oder ein Parlament dekretiert, sie können nur von der Volksmasse selbst in Angriff genommen und durchgeführt werden.

Zitat:
In allen bisherigen Revolutionen war es eine kleine Minderheit des Volkes, die den revolutionären Kampf leitete, die ihm Ziel und Richtung gab und die Masse nur als Werkzeug benutzte, um ihre eigenen Interessen, die Interessen der Minderheit, zum Siege zu führen. Die sozialistische Revolution ist die erste, die im Interesse der großen Mehrheit und durch die große Mehrheit der Arbeitenden allein zum Siege gelangen kann.

Zitat:
Auch die wirtschaftliche Umwälzung kann sich nur als ein von der proletarischen Massenaktion getragener Prozeß vollziehen. Die nackten Dekrete oberster Revolutionsbehörden über die Sozialisierung sind allein ein leeres Wort. Nur die Arbeiterschaft kann das Wort durch eigene Tat zum Fleische machen. In zähem Ringen mit dem Kapital, Brust an Brust in jedem Betriebe, durch unmittelbaren Druck der Massen, durch Streiks, durch Schaffung ihrer ständigen Vertretungsorgane können die Arbeiter die Kontrolle über die Produktion und schließlich die tatsächliche Leitung an sich bringen.

Zitat:
Sie müssen das Verantwortungsgefühl wirkender Glieder der Allgemeinheit erwerben, die Alleinbesitzerin alles gesellschaftlichen Reichtums ist. Sie müssen Fleiß ohne Unternehmerpeitsche, höchste Leistung ohne kapitalistische Antreiber, Disziplin ohne Joch und Ordnung ohne Herrschaft entfalten. Höchster Idealismus im Interesse der Allgemeinheit, straffste Selbstdisziplin, wahrer Bürgersinn der Massen sind für die sozialistische Gesellschaft die moralische Grundlage, wie Stumpfsinn, Egoismus und Korruption die moralische Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft sind.

Alle diese sozialistischen Bürgertugenden zusammen mit Kenntnissen und Befähigungen zur Leitung der sozialistischen Betriebe kann die Arbeitermasse nur durch eigene Betätigung, eigene Erfahrung erwerben.

Zitat:
Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors, sie haßt und verabscheut den Menschenmord. Sie bedarf dieser Kampfmittel nicht, weil sie nicht Individuen, sondern Institutionen bekämpft, weil sie nicht mit naiven Illusionen in die Arena tritt, deren Enttäuschung sie blutig zu rächen hätte. Sie ist kein verzweifelter Versuch einer Minderheit, die Welt mit Gewalt nach ihrem Ideal zu modeln, sondern die Aktion der großen Millionenmasse des Volkes, die berufen ist, die geschichtliche Mission zu erfüllen und die geschichtliche Notwendigkeit in Wirklichkeit umzusetzen.

Zitat:
Eine solche Ausrüstung der kompakten arbeitenden Volksmasse mit der ganzen politischen Macht für die Aufgaben der Revolution, das ist die Diktatur des Proletariats und deshalb die wahre Demokratie

.

Zitat:
Der Spartakusbund wird nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren, unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in Deutschland, nie anders als kraft ihrer bewußten Zustimmung zu den Ansichten, Zielen und Kampfmethoden des Spartakusbundes.

Die proletarische Revolution kann sich nur stufenweise, Schritt für Schritt, auf dem Golgathaweg eigener bitterer Erfahrungen, durch Niederlagen und Siege zur vollen Klarheit und Reife durchringen.

Der Sieg des Spartakusbundes steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Revolution: Er ist identisch mit dem Siege der großen Millionenmassen des sozialistischen Proletariats.

Auf, Proletarier! Zum Kampf! Es gilt, eine Welt zu erobern und gegen eine Welt anzukämpfen. In diesem letzten Klassenkampf der Weltgeschichte um die höchsten Ziele der Menschheit gilt dem Feinde das Wort: Daumen aufs Auge und Knie auf die Brust!

http://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1918/12/waswill.htm

Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 440-449

das mag genügen, um die unterschiede im politischen geist von rosa luxemburg und lenin zu erahnen. während rosa auf die selbstaktivität und ethische SELBSTBEWUSSTHEIT der massen setzte, vertraute lenin auf die partei, die organisation, die zentralisation und politisch/theoretisch klare direktiven und dekrete von der parteileitung (zentralkomitee).

während für rosa sozialismus die SELBSTERFAHRUNG der massen in der bewegung war („von unten“), war er für lenin ein in den gründzügen fertiges gerüst, was der gesellschaft durch eine art „erziehungsdiktatur“ aufgestülpt werden mußte („von oben“). (was aber auch mit der „rückständigkeit“ rußlands zum teil
erklärt werden kann.)

dieser leninsche ansatz (der in den grundzügen bereits in einem mangelhaften marx-verständnis der 2. internationale angelegt war) entartete dann im stalinismus zu einer totalen diktatur über das proletariat
und die gesamte gesellschaft.

Zitat:
diese größte freiheit eines einzelnen ist in wirklichkeit eine einzige unfreiheit: die freiheit, die die bolschewiki gleich dem zaren für sich in anspruch nehmen, entbehrt des abmaßes zur freiheit anderer und verliert damit alle ihre qualitäten.—paul levi, einleitung zu: trotzki, „1917“ (1924)

FAZIT: ich glaube, die sozialistische bewegung heute braucht BEIDES, die selbstaktivität von unten und die disziplinierte organisation „von oben“, die sich mit der klassenbewegung verbindet und ihr eine gewisse festigkeit verleihen kann. ich denke, das wollte auch lenin, wenn er von FÜHRUNG sprach.

die revolutionäre bewegung braucht lenin UND luxemburg, wenn sie die gewaltigen aufgaben, die mit der proletarisch-marxistischen bewegung verbunden sind, auch nur ANGEHEN will. aber der marxismus ist nicht 1917 stehen geblieben. die neuen erkenntnisse der gesellschaftswissenschaften müssen angeeignet und für eine aktuelle revolutionäre politik (aufklärung durch „gegenöffentlichkeit“) fruchtbar gemacht werden.
(insbesondere die auswirkungen der modernen kapitalistisch-bürgerlichen bedingungen der gesellschaftsgestaltung auf das bewußtsein der lohnabhängigen massen.)

nur so wird man der sozialistischen tradition gerecht, denn tradition bedeutet nicht nur empfangen sondern auch WEITER- und HÖHERENTWICKLUNG

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