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China und die „russische Frage“

wohin steuern die erben des

(wohin steuern die erben des „grossen steuermanns“ ?)

zur analyse stalinistischer gesellschaften 

um es gleich vorneweg zu sagen: ich bin nicht in der lage, eine politökonomische analyse des heutige china vorzunehmen. für so eine projekt bräuchte man einen wissenschaftlichen apparat und ein quellenstudium, was weit über meine möglichkeiten hinausgeht. was ich hier aber in ansätzen leisten möchte, ist eine theoretische kritik der verschiedenen ansätze „marxistischer“ einschätzungen von gesellschaften des „sowjettyps“. inwieweit dieser theoretische rahmen dann für eine konkrete analyse der sozialökonomischen verhältnisse chinas geeignet ist, darüber dürfen dann gerne andere streiten 😉 …

die ewige frage: was war die sowjetunion?

die antworten auf diese frage sind legion. es lassen sich aber gewisse haupttendenzen oder grundtypen herausschälen:

1) die SU war eine gesellschaft im übergang von kapitalismus zum sozialismus, deren entwicklung durch die herrschaft einer bürokratischen kaste blockiert war. dies ist im wesentlichen der gehalt der orthodox trotzkistischen theorie der sogenannnten „bürokratisch deformierten arbeiterstaaten“.

2) die SU war eine staatskapitalistische gesellschaft. die SU funktionierte international wie ein gewöhnlicher gesamtkapitalist, nur mit dem unterschied, dass die nationalen produktionsmittel in der verfügungsgewalt des staates standen. diese „theorie“ wird von vielen politischen strömungen vertreten. die exponierteste ausarbeitung dieses ansatzes dürfte aber tony cliff („staatskapitalismus“) geleistet haben. *

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  • ich stütze mich in diesem artikel nur auf literatur, die auch auf deutsch erschienen ist. es mag daher sein, dass in der einen oder anderen einschätzung sachliche fehler sind. so kenne ich z b nicht die arbeit der amerikanischen LRP zum stalinismus (walter daum, life and death of stalinism). ich wäre daher sehr dankbar, wenn genossInnen mit englischsprachiger kapazität ggfls. dann korrekturen und kritiken schreiben könnten.

3) die theorie des sogenannten „bürokratischen kollektivismus“. dieser ansatz wurde im wesentlichen von bruno rizzi, james burnham und shachtman entwickelt. da alle drei nur in englisch vorliegen, kann ich dazu leider nicht viel sagen. es gibt noch einen text bei wagenbach von einem gewissen antonio carlo, der ein kritischer rizzi anhänger sein soll. leider gibt dieser text aber für die analyse m e nicht viel her. so kann ich nur eine kurze zusammenfassung der grundzüge dieser theorie geben. ich stütze mich da im wesentlichen auf das buch von marcel van der linden: von der oktoberrevolution zur perestroika.

a) die bürokratie stellt eine neue herrschende klasse dar

b) der bürokratische kollektivismus ist eine eigenständige gesellschaftsform

(die im klassischen marxismus nicht berücksichtigt ist)

c) die verstaatlichung der produktionsmittel ist der logische schlusspunkt in der konzentration der Macht. wenn die verfügungsgewalt dann in der hand der „manager“ liegt, handelt es sich um eine neue (und barbarischere) form des „totalitarismus“.

4) der rückgriff auf die „asiatische produktionsweise“

dieser ansatz versucht, die sowjetgesellschaften in historischer analogie zur asiatischen produktionsweise zu analysieren. der vater dieses ansatzes ist karl august wittfogel („die orientalische despotie“). aber wirkliche bedeutung hat dieser ansatz wohl dadurch bekommen, dass auch rudolf bahro ihn übernommen hat („die alternative“). (man müsste wohl auch noch rudi dutschke nennen, aber mit seinem versuch, lenin auf die füsse zu stellen, wusste ich nun gar nichts anzufangen)

diese analogie zur APW hat m e grosse ähnlichkeit mit dem ansatz der bürokratischen kollektivisten, hat aber den grosssen vorzug, dass sie die gesellschaften des sowjettyps nicht als etwas historisch „neues“ ansieht, sondern quasi als geschichtliche wiederholung, nur mit ein paar veränderten vorzeichen.

der „synthetische“ ansatz

ich gehe davon aus, dass sowohl der orthodox trotzkistische als auch der staatskapitalistische ansatz theoretisch inkosistent sind. die sowjetunion der 30er jahre als „arbeiterstaat“ zu bezeichnen (ob nun bürokratisch deformiert oder nicht) ist ein hohn. auf der anderen seite hatte diese gesellschaft aber auch wirklich nichts kapitalistisches an sich.

der bürokratische kollektivismus ergibt für mich sinn, hat aber als grosse theoretische schwäche eine völlig neue gesellschaftsformation zu postulieren, was natürlich innerhalb des theoriegebäudes des marxismus grosse schwierigkeiten bereitet.

der asiatische ansatz kommt zwar zu ähnlichen ergebnissen wie die bürokratioschen kollektivisten, würde aber den stalinismus quasi als historische restauration uralter gesellschaftstrukturen erklären, die auch in der russischen gesellschaft vor und nach der oktoberrevolution noch durchaus starke wurzeln hatten. ob man diese „asiatische“ gesellschaft dann als eigenständige gesellschaftsform betrachten muss ist dabei eine müssig akademische frage. denn erstens existiert die SU nicht mehr und zweitens würde es an der strukturellen analyse nichts ändern. und da der marxismus kein dogma ist, würde er es auch (v)ertragen, wenn gesellschaftstrukturen auftauchen, die vom alten marx nicht vorhergesehen wurden.

die wesentlichen kennzeichen „asiatischer“ gesellschaften des sowjettyps

ich gehe davon aus, dass man die bürokratie als HERRSCHENDE KLASSE betrachten muss. auch wenn sie kein direktes privateigentum haben, so haben sie über den hebel der staatlichen kontrolle und administration die VERFÜGUNGSGEWALT über die produktionsmittel. und für die konstituierung eines herrschaftsverhältnisses ist die faktische verfügungsgewalt wichtiger als ein rechtsverhältnis. oberndrein war die arbeiterklasse politisch enteignet und rechtlos, was dem ganzen system ein besonders brutales und barbarisches wesen verlieh.

die ausbeutung geschah nicht über eine mehrwertproduktion, sondern über die (korrupte) aneignung des mehrprodukts durch die staatsbürokratie.

da die oktoberrevolution in einem rückständigen land stattfand (1917 betrug der anteil der arbeiterklasse in russland ca 5% und war auf wenige städte wir petrograd beschränkt) und international isoliert blieb, konnte sie nicht in direkter konkurrenz zum imperialismus bestand haben. für ein wirtschaftliches überleben musste russland eine „nachholende industrielle entwicklung“ einleiten. diese wurde aus dem boden gestampft mit der peitsche des despotischen staates als kollektiver organisator einer vollkommenen gesellschaftlichen umgestaltung von oben. so wie in den antiken asiatischen gesellschaften grosse nationale projekte wie die wasserversorgung der landwirtschaft über den staat organisiert wurden, so organisierte der stalinistische staat die kollektivierung der landwirtschaft und die nachholende industrielle entwicklung. die apolegeten bezeichnen das als einen „beweis für die überlegenheit des sozialismus“. mir fallen da eher die worte von marx ein:  [der fortschritt der ausbeutergesellschaften erinnert an jenen]“…scheußlichen heidnischen Götzen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte“.

was ist das heutige china?

offensichtlich ist es den chinesischen bürokraten gelungen, elemente der staatlichen planung und kontrolle mit der (partiellen) öffnung für den weltmarkt zu kombinieren. das ist natürlich ein tanz auf dem vulkan. denn je mehr die chinesische gesellschaft durch kapitalverhältnisse durchdrungen wird, umso geringer ist der Machtgewinn aus der staatswirtschaft. die bürokraten wissen  das auch und nicht zufällig sind schon eine gewisse anzahl der KP mitglieder millionäre. offensichtlich kann man die chinesische gesellschaft nicht als deformierten arbeiterstaat bezeichen, denn niemals übte in china die arbeiterklasse die Macht aus (was man vlt wenigstens von russland in den ersten jahren nach der oktoberrevolution sagen konnte). und nur aus der verstaatlichung der produktionsmittel den klassencharakter zu bestimmen, greift zu kurz, wenn nicht die verfügungsgewalt und die möglichkeiten zur selbstbestimmung der produzenten berücksichtigt werden.

staatskapitalismus könnte schon eher auf china zutreffen, aber das wesentliche kennzeichen des kapitalismus ist die nationale konkurrenz der (einzel)kapitale. noch hat die KP den letzten finger auf diese frage. aber es ist nur noch eine frage der zeit, wann auch dieser damm bricht. auf der anderen seite hat die zentrale staatliche planung (die wohl noch existiert) den enormen vorteil, china dem direkten zugriff des imperialismsu (noch !) zu entziehen.

auf china treffen somit m e alle kennzeichen der „asiatischen gesellschaften sowjetischen typs“  zu:

— die staatliche bürokratie als oberster administrator der nationalen wirtschaftsentwicklung

— die staatliche bürokratie eignet sich das gesellschaftliche mehrprodukt über ihre verwaltungsfunktionen an

— die staatliche bürokratie agiert somit als quasi „herrschende klasse“

— die asiatische gesellschaft des sowjettyps basiert auf kollektiven eigentumsformen, die aber mit einer entrechtung der unmittelbaren produzenten eingergeht

— die staatliche verfügungsgewalt über die produktionsmittel mit der einhergehenden entrechtung der breiten masse ermöglicht eine nachholende industrielle entwicklung und konstituiert ein neues herrschaftsverhältnis zwischen der bürokratie als herrschender klasse und der arbeiterklasse als ausgebeutete und unterdrückte klasse

eine lösung für diese gesellschaften, sich auf der einen seite vom würgegriff des imperialismus zu befreien und auf der anderen seite die bürokratie zu stürzen, ermöglicht nur die perspektive der internationalen permanten revolution!

2 Kommentare zu “China und die „russische Frage“

  1. ich möchte die leser noch gerne auf einen längeren artikel der FT-CI hinweisen, wo sie auch auf die entwicklung in china eingehen. einmal als ergänzung in bezug auf statistisches material. zum anderen „erklärt“ die FT, die chinesische bürokratie hätte sich aus der bürokratie eines „deformierten arbeiterstaates“ in eine kapitalistische bürokratie verwandelt. wie genau dieser erstaunliche wandel im klassencharakter stattgefunden hat, erklärt sie natürlich nicht. und wozu dann noch der begriff „bürokratie“? marxisten sprechen in diesem zusammenhang doch eigentlich von klasse…. man sieht also, die orthodoxe theorie produziert logische widersprüche, die man mit der theorie der restauration der „asiatischen produktionsweise“ vermeiden könnte.

    „…wie die „geordnetere“ Entwicklung [sic!!!] der Bürokratie der chinesischen KP klar zeigte, als sie sich in eine kapitalistische verwandelte…“
    http://www.klassegegenklasse.org/an-den-grenzen-der-burgerlichen-restauration/

    „geordnete entwicklung“ !!!! …als ob die verwandlung des klassencharakters der bürokratie einer KP mit 78 millionen mitgliedern so einfach mal in einer nachtundnebel aktion vollzogen werden könnte. trotzki verwendete in diesem zusammenhang ein sehr schönes sprachbild. er nannte es: den reformistischen film rückwärts abspulen. trotzki war intellektuell integer: er wusste, dass seine analyse in „verratene revolution“ nur eine historisch vorläufige war. heute sind die orthodoxen trotzkisten entweder rückwärtsspulende reformisten oder sie verharren in steriler orthodoxie, ohne in der lage zu sein, die realen entwicklungen mit ihren hirngespinsten in einklang zu bringen. „lernt denken, genossen“ …dieser titel trotzkis bleibt weiterhin brennend aktuell !

  2. aus heutiger sicht würde ich sagen, dass ein schleichender übergang schon möglich wäre, wenn das klassenkampfniveau niedrig ist. inwieweit das auf china (in einer bestimmten periode) zutrifft, müsste man dann natürlich konkret analysieren; was von deutschland aus — und mit sicher ungenügender quellenlage und wer kann schon chinesisch lesen? — nicht ganz einfach sein dürfte.

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