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DGS antwortet Tino P.

odysseys blendete den zyklopen. die einäugigkeit ist doch ein hervorragendes symbol für die gesellschaftliche blindheit gegenüber den kapitalfetischismen

Die Annäherung und möglichst Vereinigung der subjektiven RevolutionärInnen – eine auch 2012 noch aktuelle Aufgabe

[von] DGS / TaP

4. Januar 2012

Vier Fragen an Tino P. und alle anderen an der Debatte Beteiligten sowie einige ergänzende Anmerkungen

[Der folgende Text als .pdf-Datei.]

I. Pappkamerad „revolutionär-marxistisch[er]“ Perfektionismus
Tino schrieb am 17. Dezember unter der Überschrift „Zwischen Skylla und Charybdis“ in diesem blog:

„Das heisst, wir brauchen eine breitere Organisation, mit einem nicht allumfassenden Minimalkonsens, nämlich ‚nur’ klarer Antikapitalismus, radikal demokratisches Funktionieren, Einheitsfrontmethode und minimale Verbindlichkeit im Rahmen einer Organisation, das heisst minimaler Zentralismus undnicht die scheinbar perfekte revolutionär-marxistisch-sozialistische Organisation.“

Nun, wer/welche es nicht schon vorher wußte, kann es jedenfalls seit Lenins Schrift über den „Linke[n] Radikalismus“ als „Kinderkrankheit im Kommunismus“ wissen:
Es gibt keinen „perfekten“ Weg zur Revolution!

„Einen mächtigeren Gegner kann man nur unter größter Anspannung der Kräfte und nur dann besiegen, wenn man unbedingt aufs angelegentlichste, sorgsamste, vorsichtigste, geschickteste sowohl jeden, selbst den kleinsten ‚Riß‘ zwischen den Feinden, jeden Interessengegensatz zwischen der Bourgeoisie der verschiedenen Länder, zwischen den verschiedenen Gruppen oder Schichten der Bourgeoisie innerhalb der einzelnen Länder als auch jede, selbst die kleinste Möglichkeit ausnutzt, um einen Verbündeten unter den Massen zu gewinnen, mag das auch ein zeitweiliger, schwankender, unsicherer, unzuverlässiger, bedingter Verbündeter sein. Wer das nicht begriffen hat, der hat auch nicht einen Deut vom Marxismus und vom wissenschaftlichen, modernen, Sozialismus überhaupt begriffen. Wer nicht während einer recht beträchtlichen Zeitspanne und in recht verschiedenartigen politischen Situationen praktisch bewiesen hat, daß er es versteht, diese Wahrheit in der Tat anzuwenden, der hat noch nicht gelernt, der revolutionären Klasse in ihrem Kampf um die Befreiung der gesamten werktätigen Menschheit von den Ausbeutern zu helfen. […]. Unsere Theorie ist kein Dogma, sondern eine Anleitung zum Handeln, pflegten Marx und Engels zu sagen, […]. ‚Die politische Tätigkeit ist nicht das Trottoir des Newski-Prospekts‘ (das saubere, breite, glatte Trottoir der schnurgeraden Hauptstraße Petersburgs), pflegte schon N.G. Tschernyschewski, der große russische Sozialist der vormarxschen Periode, zu sagen.“ (http://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1920/linksrad/kap08.html)

Selbst Genosse Systemcrash plädiert in unserer Debatte zwar für eine „revolutionär-marxistische“ Organisation, aber daß diese „perfekt“ sein könne oder solle, ist auch ihm nicht über die Lippen gekommen.
Und ich plädiere für eine revolutionäre Organisation, die sowohl revolutionäre MarxistInnen als auch revolutionäre AnarchistInnen umfaßt – denn alle Fragen, die sich nach einer antikapitalistischen Revolution stellen, werden alle GenossInnen, die evtl. in nächster Zeit eine Organisationen gründen, aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr in ihrerpolitischen Praxis beantworteten können / nicht mehr in ihrer politischen Praxis beantworten müssen!

II. Die Unklarheit des ‚Klaren’: Welcher Kapitalismus? Welcher Antikapitalismus?

Wenn also eine „perfekte revolutionär-marxistisch-sozialistische Organisation“ ein Pappkamerad ist, der augenscheinlich nur aufgebaut wurde, um ihn umhauen zu können, dann lautet die wirkliche Frage also: Was sollen wir unter einer „breitere[n] Organisation, mit […] klare[m] Antikapitalismus“ verstehen, zu deren Charakterisierung Tino das Wort „revolutionär“ nicht verwendet?!

Daraus ergeben sich die in der Unterüberschrift dieses Artikels angekündigten vier Fragen an Tino und alle anderen an der hiesigen Debatte Beteiligten:

1. Was verstehst Du bzw. was soll die evtl. zu gründende Organisation unter „Kapitalismus“ verstehen?

2. Was verstehst Du bzw. was soll die evtl. zu gründende Organisation unter „Antikapitalismus“ verstehen?

3. Was müßte also an den gesellschaftlichen Verhältnissen geändert werden, damit wir es nicht mehr mit „Kapitalismus“ zu tun haben, und was soll die Organisation dazu beitragen, daß es zu derartigen Änderungen der gesellschaftlichen Verhältnissen kommt? Was heißt also – hier und jetzt – antikapitalistische und nicht reformkapitalistische politische Praxis?

Und 4.: Durch welche Haltung und Praxis soll sich die vorgeschlagene ‚klar antikapitalistische’ Organisation in Bezug auf die anderengesellschaftlichen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen sowie auf die Staatsapparate auszeichnen?1

III. ‚Breite antikapitalistische Organisation’ – die Charybdis in der Gestalt der Skylla

1. Tino sagt, die momentan größere Gefahr gehe von der sektiererischenCharybdis aus.

Lassen wir die Frage beiseite, ob nicht besser der Reformismus durch dieCharybdis (die in der Odyssee anders als die Skylla weniger ein Ungeheuer, als vielmehr ein – wenn auch subjektivierter – Meeresstrudelist) versinnbildlicht wäre.
Lassen wir auch die Frage beiseite, ob der Reformismus oder das SektiererInnentum die größere Gefahr ist (ich tendiere dahin zu sagen:vor-revolutionär, d.h.: unter den Bedingungen bürgerlicher, patriarchaler und rassistischer Hegemonie ist der Reformismus die größere Gefahr; dasspontane Bewußtsein ist – aufgrund dieser Hegemonie – [wenn überhaupt] das reformistische Bewußtsein – und nicht das sektiererische; der status quo ist der ‚Strudel’, in den wir spontan hineingezogen werden).
Aber eines scheint mir jedenfalls klar zu sein:
Eine Organisation, die nicht Willens oder nicht in der Lage ist, auf die unter II. genannten Fragen zu antworten, würde die Gefahren des Reformismus und der Sektiererei in sich vereinigen. Eine solche Organisation würde die Charybdis in der Gestalt der Skylla (oder eine in einen Meeresstrudel verwandelte Skylla) sein!
Eine solche Organisation würde sich inhaltlich vom

  • diffusen „Antikapitalismus“ der Linkspartei

und

nicht unterscheiden, aber trotzdem in eine organisationspolitischeKonkurrenz eintreten. Und im Fall der Gründung einer weiteren Gruppierung des diffusen „Antikapitalismus“ wäre diese Konkurrenz auch nicht mehr durch eine Arbeitsteilung zwischen parlamentarischem und außerparlamentarischem Feld abgefedert, sondern eine solche neue Organisation müßte mindestens mit einer der beiden Gruppen auch auf dem gleichen Feld konkurrieren. –
Tino sieht den „Sektarismus“ u.a. durch „eine exzessive Tendenz zu moralisieren in der politischen Debatte“ gekennzeichnet. Moralisierende „Verrats“-Vorwürfe und personalisierende Angriffe unterhalb der Gürtellinie – das wären zwangsläufig die vorrangigen Mittel, mit denen eine solche Organisation versuchen müßte, sich zu profilieren. Eine solche Organisation würde Reformismus (oder jedenfalls: Gradualismus) auf der inhaltlichen Ebene mit Sektiererei auf der organisationspolitischen Ebene kombinieren.

2. Eine Organisation, die für die Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs argumentiert und ihre heutige Praxis darauf ausrichtet, würde demgegenüber ein – nicht nur behauptetes, sondern – tatsächlich klares Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Linkspartei und der Mehrheit der Interventionistischen Linken (IL) aufweisen.2
In dem „Na endlich“-Papier wurden „5 unverhandelbare Punkte“ genannte:
„1. Konzept des revolutionären Bruchs
2. Keine Mitverwaltung der kapitalistischen Krise
3. Klassenorientierung
4. Einheitsfront-Methode
5. (Eine gewisse) organisatorische Verbindlichkeit“.
Fiele der erste Punkt (zur Frage, warum dieser der Sache nach wichtig ist, siehe meine dortigen Ausführungen: 12 und 3) weg, wäre es schwierig, den Unterschied zwischen einer solchen Organisation und der IL zu erklären, und unmöglich, den zwischen einer solchen Organisation und der Linkspartei zu erklären.
Selbst die Linkspartei beansprucht – in Form ihrer „Haltelinie“ – keine „Mitverwaltung der kapitalistischen Krise“ zu betreiben, sondern zumindest minimale Verbesserungen durchzusetzen. Für die IL als außerparlamentarischer Gruppierung gilt dies erstrecht.
„Klassenorientierung“ mag ein Unterscheidungsmerkmal zur IL sein, ggü. der Linkspartei eher weniger (und wenn „Klassenorientierung“ etwas mit sog. „gewerkschaftlicher Orientierung“, d.h. Facharbeiter-Zentrismus, und mit ‚Feminismus und Antirassismus für nicht so wichtig halten’ zu tun hat, dann ist mir die Linkspartei nicht zu wenig ‚klassenorientiert’, sondern zu‚klassenorientiert’).
Über die „Einheitsfront-Methode“ wären sich in diesem Spektrum ohnehin alle einig, auch wenn diese nicht alle so nennen würden.
Und hinsichtlich der „(gewisse[n]) organisatorische[n] Verbindlichkeit“ könnte der Streitpunkt nur die Auslegung des Adjektivs „gewisse“ sein.

3. Im „Na endlich“-Papier hieß es: „Natürlich treten wir in Konkurrenz zur LINKEN (sonst bräuchten wir ja gar nicht loslegen), aber nach unserer festen Überzeugung muss das neue Projekt glaubhaft rüberbringen, daß es sich um eine sozusagen ‚solidarische Konkurrenz’ handelt.“
Eine solche solidarische Konkurrenz wäre zwischen einer revolutionären Organisation einerseits und reformistischen bzw. gradualistischenGruppierungen andererseits möglich: Der inhaltliche Unterschied zwischen einer reformistischen und einer revolutionären Orientierung und der strategische Unterschied zwischen einer gradualistischen und einer revolutionären Orientierung läge klar auf dem Tisch, kann argumentativ begründet werden und macht Zusammenarbeit und Grenzen der Zusammenarbeit für alle Beteiligten berechenbar.
Ohne das inhaltlich-strategisch Unterscheidungsmerkmal „revolutionärer Bruch“ bliebe nur die Schlammschlacht um die Frage, welche Gruppierung dem Anspruch auf Nicht-Mitverwaltung der Krise und auf „gewisse“ Verbindlichkeit gerecht wird und welche ihn vielmehr ‚verrät’.
Dagegen ist der Unterschied zwischen revolutionärer Orientierung einerseits und Reformismus/Gradualismus nicht nur ein Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit. ReformistInnen und GradualistInnenhandeln nicht nur anders als RevolutionärInnen, sondern sie reden auch bereits anders; und RevolutionärInnen können ihrerseits nicht aufhören, über diesen Unterschied zu reden, ohne sich selbst aufzugeben!

IV. Die ‚Massen’ des diffusen Antikapitalismus

1. Tino schreibt:

„Es ist klar, je sektiererischer das Konzept ist, desto tiefer liegt die Zahl der möglichen Mitglieder bei Gründungsstart und was viel eher eine Konsequenz einer gewissen Konzeption ist, wird von ihnen dann im Handumdrehen zu einem objektiven einzig realistischen Faktum gemacht.“

Wem/welcher sagt Tino das (abgesehen vom Wort „sektiererisch“)?! Umso bestimmter die inhaltlichen Kriterien sind, desto weniger Mitglieder kommen ad hoc in Betracht; demgegenüber setzt das Anstreben einer großen Mitgliederzahl hier und heute große inhaltliche Unbestimmtheit voraus (ohne daß Letztere eine große Mitgliederzahl garantieren würde).

Diskussionsbedürftig ist nicht dieser Zusammenhang, sondern, ob in Kenntnis dieses Zusammenhangs kurzfristig eine Mitgliederzahl von 500, 1.000 oder noch mehr Leuten angestrebt werden soll.
Realistisch ist, daß 500 Mitglieder die Obergrenze ist, die eine revolutionäre Organisation (ohne Karteileichen) in der Gründungs- und Aufbauphase erreichen kann.
Realistisch ist, daß wer/welche 1.000 oder mehr Leute organisieren will, dies allenfalls nur unter Einbeziehung von Karteileichen und/oder Hunderten von Leuten aus dem Spektrum des diffusen „Antikapitalismus“ schaffen kann.

Und genau auf dieses Spektrum scheint Tino zu setzen:

„die Ausgangslage hat sich qualitativ verändert im Jahre 2011 durch […] Wiederauftauchen von recht radikalen Massenbewegungen (2011, vorallem arabischer Frühling, aber auch Indignados in Spanien, Griechenland etc.), die weltweit in Millionen von Köpfen die Botschaft vermitteln lassen, […] dass Revolutionen eigentlich etwas positives, gutes und sympathisches sind, auch wenn es sich tatsächlich noch nicht um eigentliche Revolutionen handelt. Übrigens eine Zahl, die im Zusammenhang mit den Abwälzungen der Kosten in der Tagesagitation im Sinne eines ‚ceterum censeo capitalismus destruendum est’ immer wieder wiederholt werden sollte: Die Gesamtverschuldung aller Industrienationen der Welt beträgt 35′000 Milliarden Dollar, zwischen 15-20′000 Milliarden entstanden durch die Bankenrettungen und schätzungsweise ca. 10′000 Milliarden durch die Einnahmensverluste der jahrelangen Steuersenkungen für die ganz Reichen. Zwei simple, banale Ursachen für ca. 65-80% des gesamten Schuldenberges!“

Er schreibt dann zwar auch noch,

„Wir wollen nicht übertreiben und schon gar nicht euphorisch die Morgenröte der kommenden Revolutionen beschwören, keineswegs, nicht im geringsten, aber eine wichtige Veränderung in der Ausgangslage für den Aufbau eines radikalen antikapitalistischen Reverenzpoles ist das ganz gewiss!“

Aber der Akzent dieses Satzes liegt auf dem „aber“. Der mögliche Einwand, daß die Revolution nicht bevorstehe, wird nur vorweggenommen, um ihn damit auch zu erledigen, d.h.: zu den Akten zu legen.

2. Einzuwenden ist aber nicht nur, daß die Revolution nicht bevorsteht. Einzuwenden ist vielmehr auch:

a) Dadurch, daß es irgendwo „recht radikale“ (was das auch immer heißen soll) Massenbewegungen gibt, ändert sich an den organisationspolitischen Perspektiven in BRD erst einmal gar nichts.
b) Nicht einmal in den Ländern der Protestbewegungen hat sich im Laufe des Jahres 2011 organisationspolitisch qualitativ etwas geändert: Weder die Izquierda Anticapitalista in Spanien noch Antarsya in Griechenland sind im Kontext der Proteste bedeutend stärker geworden oder stehen vor neuen Fusionen mit weiteren Spektren. Die interne Lage der griechischen Linken ist vielmehr von dem scharfen Konflikt zwischen AnarchistInnen/Autonomen und StalinistInnen gekennzeichnet.3 Auch aus dem arabischen Raum sind mir keine neuen antikapitalistischen Organisationsgründungen bekannt geworden. – Einen nüchternen Bericht aus verschiedenen nordafrikanischen Ländern gibt Bernard Schmitt in einem bei scharf-links und trend. online-zeitung erschienen Artikel:http://trend.infopartisan.net/trd1211/t621211.html undhttp://www.scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=20847&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=3013a8f0f2.
Und schließlich scheint es auch zwischen den verschiedenen trotzkistischen und/oder maoistischen Internationalen keine Vereinigungs- / organisationspolitischen Annäherungstendenzen zu geben.
c) Jene Massenbewegungen sind nicht nur nicht revolutionär-marxistisch, sie sind nicht einmal dem Anspruch nach antikapitalistisch im marxistischen Sinne (verbunden mit einer auch nur gradualistischen Strategie). Und selbst ein auch nur diffuser (nicht marxistischer) Antikapitalismus steht allenfalls in Griechenland im Zentrum der Proteste, in Spanien ist etwaiger diffuser Antikapitalismus von einem Diskurs über „wirkliche Demokratie“ überdeckt und die arabischen Bewegungen sind v.a. ein paradoxes Zusammentreffen von westlich-kapitalistischem Demokratie-Begriff und anti-westlichem Islamismus, denen ggü. punktuelle Lohnkämpfe und sozialpolitische Forderungen im Hintergrund bleiben.
d) Und Tino selbst scheint nichts anderes als diffusen Antikapitalismus zu vertreten oder jedenfalls für die evtl. zu gründende Organisation vorzuschlagen: Kapitalismus = Subventionen für die Banken und Steuergeschenke für die Reichen (s. das zweite Zitat im hiesigen Abschnitt IV.1.).
Wenn dies der Kapitalismus ist, der zu zerlegen / abzubauen (destruendum) ist, dann ist die Diskussion über einen revolutionären oder gradualistischen Weg in der Tat müßig und selbst eine Aufnahme auch von ReformistInnen in die Organisation sinnvoll.
Wenn „Kapitalismus“ – wie für die MarxistInnen – aber der Name für die Produktionsweise ist, die durch doppelt-freie Lohnarbeit, d.h.: den Warencharakter der Arbeitskraft, und dominierendes Privateigentum an den Produktionsmitteln charakterisiert ist, dann wird die Zerstörung des Kapitalismus genauso wenig eine dinner party sein4, wie es dieZerstörung Karthagos, von der Cato in jeder seiner Reden im römischen Senat sprach (Ceterum censeo Carthaginem esse delendam. / Im übrigen bin ich der Ansicht, daß Karthago zerstört werden muß.), bis sie schließlich erfolgte, war.

V. Tinos „Zielpublikum“ – potentielle Mitgliederbasis oder Interventionsfeld?

1. Tino schreibt:

„Und welches ist das Zielpublikum? […]. Grob würde ich mal Teile aus drei Milieus ausmachen: Die Gruppe der vorwiegend jungen und politisch relativ unbeschriebenen Leute, die in irgendwelchen Bewegungen aktiv sind wie Occupy Bewegung, Streiks etc., die Gruppe der sogenannt ‚politisch Heimatlosen,’ das heisst von eher älteren Leuten, die politisch z.T. jahrelang aktiv waren oder eher zurückgezogen noch in irgendeinem Solikomitee hocken oder auch nirgendwo, die oft mal Mitglieder von linken Organisationen waren, die immer noch Antikapitalisten und Sozialisten sind, aber die Schnauze gestrichen voll haben von dogmatischen, sektiererischen und undemokratischen linken Kleingrüppchen und schliesslich noch jene Gruppe von Leuten, die in linken Strömmungen innerhalb der Partei die Linke aktiv sind, oder in den Gewerkschaften, oder die regelmässige Leser von ‚Analyse & Kritik’ und ähnlichen Zeitungen sind.“

Mit relevanten „Teile[n]“ dieser (und nicht nur einzelnen Leuten aus diesen) Spektren5 läßt sich keine revolutionäre Organisation, sondern allenfalls eine Organisation des diffusen „Antikapitalismus“ gründen – und auch dafür müßte

  • den Leuten aus der occupy-Szene erklärt werden können, warum sie sich denn überhaupt organisieren sollen,
  • und denen aus der Linkspartei und der ak-LeserInnenschaft, warum sie das denn nicht weiterhin in der Linkspartei und der IL (oder beiden gleichzeitig) machen sollen – womit wir dann also wieder bei den Fragen und Problemen von Abschnitt II. und III. sind.

Und allenfalls ParteisoldatInnen aus der Linkspartei werden sich mit einer solchen abstrakten Einheits- und Pflichtenrhetorik6 gewinnen lassen:

„Die Phase der möglichen Öffnung der Köpfe von breiteren, signifikanten Teilen der Bevölkerung hat im Jahre 2011 ein zumindest neues Stadium erreicht, der Zeitpunkt ist insofern reif und objektiv ist es eine Pflicht aller verantwortungsvoller AntikapitalistenInnen sich zusammenzuraufen zu einer grösseren Organisation, die die kritische Masse der gesellschaftlichen Sichtbarkeit erreicht.“

Aber gerade sie, die ParteisoldatInnen, werden auch fragen, warum es denn bitte sehr nicht die „Pflicht aller verantwortungsvoller AntikapitalistenInnen“ sein soll, sich in der Linkspartei zusammenzuraufen.
Die von Tino genannten Spektren sind also nicht die potentielle Mitgliederbasis einer neuen revolutionären Organisation, sondern das zukünftige Interventionsfeld einer solchen Organisation – und wenn es gut läuft, wird es ihr gelingen, dort jedes Jahr eine Anzahl von Leuten, die 10 Prozent ihrer eigenen Mitgliederzahl entspricht, von revolutionären Positionen zu überzeugen und als Neumitglieder für sich zu gewinnen.

2. Im Gegensatz zu dem, was in Tinos These von der qualitativen Veränderung der „Ausgangslage […] im Jahre 2011“ impliziert ist, halte ich also auch für das Jahr 2012 und die kommenden Jahre noch das für aktuell und vorrangig gemeinsam zu entwickeln, was bereits im März 2011 im „Na endlich“-Papier vorgeschlagen wurde: „ein organisatorisches Angebot an d[…a]s ‚Spektrum der subjektiven RevolutionärInnen’“.
Dieses Spektrum besteht, soweit es für unsere Bemühungen überhaupt in Betracht kommt, aus den – im einen Fall eher antinational, im anderen Fall eher antiimperialistisch ausgerichteten – neueren kommunistischen Szene-Bündnissen Ums Ganze und 3ATeilen der Interventionistischen Linken, den verbliebenen marxistisch-revolutionären Kleinorganisationen brandlerianischen, maoistischer und trotzkistischer Tradition, vermutlich größeren Teilen der aktiven DKP-Mitglieder und kleinen Teilen der Linkspartei-Linken7 sowie einzelnen GenossInnen, die sich (wie ich selbst) im Laufe der 1990er und 2000er Jahre vom politischen Aktivismus in theoretische, kulturelle und/oder Erwerbsarbeit verabschiedet hatten, da sie politisch dem allgemeinen Abschied von revolutionärer Politik nichts Wirksames entgegenzusetzen wußten und wegen relevanter inhaltlicher Differenzen den verbliebenen, nicht strömungs-pluralistisch zusammengesetzten revolutionären Kleinorganisationen nicht beitreten mochten.
Dieses Spektrum wird sich nicht kurzfristig in einer Organisation zusammenführen lassen, aber die Schaffung von Plena der subjektiven RevolutionärInnen ist eine Möglichkeit, die verschiedenen Teil-Spektren dieses Spektrums miteinander ins Gespräch und in partielle gemeinsame politische Praxis zu bringen. Daran sollten wir im kommenden Jahr arbeiten!

VI. Die wirkliche Lehre aus der Geschichte der brasilianischen PT

Tino schreibt:

„Die ca. acht nationalen revolutionären Tendenzen innerhalb der Partei [der brasilianischen PT] stellten auf den Kongressen zwischen 35 bis knapp 50% der DelegiertenInnen. Die Breite und die Hegemonie der Reformisten um den im Jahre 2002 zum brasilianischen Präsidenten gewählten Lula, der dann eine z.T. noch kapitalfreundlichere Politik machte als die Militärregimes (1964 – 1985), waren aber nicht der eigentlich zentrale Knackpunkt, sondern vielmehr die chronische Unfähigkeit der linken Strömungen sich in einigen strategischen Fragen zu einem geeinten, handlungfähigen Block zu verbinden, der im richtigen Moment (meiner Ansicht nach wäre das 1991/92 gewesen) den organisatorischen Bruch zwischen den revolutionären und den reformistischen Kräften vollzogen hätte.“

Dies scheint mir nun nicht gerade für das Projekt einer breiten, diffus antikapitalistischen Organisation zu sprechen… – sondern dafür, daß vorrangig die Vereinheitlichung und gemeinsame Handlungsfähigkeit der RevolutionärInnen anzustreben ist. Allenfalls wenn dies erreicht ist, sollten gemeinsame Organisationsprojekte mit GradualistInnen (und ReformistInnen) in Betracht gezogen werden.

———

Der Einwand gegen diesen Vorschlag ist schon vorauszusehen: Hier spreche die sektiererische Charybdis.
Aber tatsächlich sektiererisch wäre, die ‚Massen’ des diffusen Antikapitalismus (die in der BRD nur eine recht kleine Minderheit der Bevölkerung darstellen), als aktuelles Interventionsfeld sowie als mittel- und langfristig eventuelle Mitglieder einer neuen revolutionären Organisation zu ignorieren.
Aber Reformismus und/oder Gradualismus (egal, ob sie nun in der Skylla oder in der Charybdis verkörpert gesehen werden) wäre es, wenn die Notwendigkeit der – möglichst gemeinsamen – Organisierung der RevolutionärInnen negiert würde.

Tatsächlich sektiererisch wäre, Bündnisse mit ReformistInnen und GradualistInnen zu verweigern.
Aber Reformismus und/oder Gradualismus wäre, zugunsten einer gemeinsamen Organisation von RevolutionärInnen mit ReformistInnen und GradualistInnen auf eine Organisation der RevolutionärInnen zu verzichten!

  1. Meine Antwort auf die ersten Frage sowie – als mehr oder minder implizite Schlußfolgerung – auf die zweite Frage sowie die erste Frage (= den ersten Halbsatz) von Nr. 3 findet sich dort: www.lafontaines-linke.de/wp-content/uploads/2011/10/Reformistischer_Voluntarismus.doc (insb. S. 4 oben, 5 Mitte, 10 oben, 13 f. [FN 2a], 20 [FN 22 f.] und 22 f. [FN 24]); meine grundsätzliche Antwort auf die zweiten Halbsatz und die zweite Frage von Nr. 3 dort: http://arschhoch.blogsport.de/2011/11/21/was-spricht-eigentlich-gegen-lenins-parteitheorie/ (Argumentation für die „unversöhnliche Gegensätzlichkeit [d]er Interessen zu dem gesamten gegenwärtigen politischen und sozialen System“ statt Beschränkung darauf, den „Kampf gegen die Unternehmer zu führen, der Regierung diese oder jene für die Arbeiter notwendigen Gesetze abzutrotzen“) und meine Antwort auf die vierte Frage dort:http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/15/antikapitalistisch-ist-nicht-revolutionaer-genug/ (Anmerkung 5). [zurück]
  2. Zwar gibt es auch im revolutionären Spektrum bereits organisationspolitische Angebote, mit denen eine neue revolutionäre Organisation zwangsläufig in Konkurrenz treten würde. Aber auch diese Konkurrenz ließe sich – zum einenTeil – inhaltlich und strategisch als Bündnisbereitschaft ggü. ReformistInnen und (hoffentlich) als nicht-nebenwiderspruchstheoretische Positionierung zu Patriarchat und Rassismus argumentativ ausweisen; zum anderen Teil wäre eine evtl. Organisationsgründung mit dem Angebot an alle existierenden Gruppierungen zu verbinden, als Strömungen/Fraktionen Teil der neuen Organisation zu werden. – Auch insoweit wäre also keine Profilierung mittels Schlammsschlacht erforderlich. [zurück]
  3. Streiks bleiben in Spanien im Rahmen des reformistisch-südeuropäisch Üblichen; auf der Wahlebene profitierten von der Schwächung der PSOE eher rechte als linke Parteien. [zurück]
  4. Mao: „a revolution is not a dinner party, or writing an essay, or painting a picture, or doing embroidery; it cannot be so refined, so leisurely and gentle, so temperate, kind, courteous, restrained and magnanimous“ (http://www.marx2mao.com/Mao/HP27.html#c5, p. 28) / „eine Revolution [ist] kein Gastmahl, kein Aufsatzschreiben, kein Bildermalen oder Deckchensticken; sie kann nicht so fein, so gemächlich und zartfühlend, so maßvoll, gesittet, höflich, zurückhaltend und großherzig durchgeführt werden“ (http://www.infopartisan.net/archive/maowerke/hunan5.htm, S. 27). [zurück]
  5. Falls alle Avanti-Mitglieder zu den regelmäßigen AK-LeserInnen gehören, gäbe es allerdings einen relevanten revolutionären Teil unter der AK-LeserInnenschaft. Allerdings halten sich Avanti und andere revolutionäre IL-Mitgliedsgruppen bisher öffentlich von unserer hiesigen Organisierungsdebatte fern und innerhalb der IL scheinen sie sich einer Bewegungseuphorie, die auf eigene inhaltliche Profilierung verzichtet, (http://www.anti-kapitalismus.org/2011/12/massenaktionen-gegen-krise-und-kapitalismus-organisieren/) unterzuordnen. [zurück]
  6. Vgl. – am anderen Beispiel – zur Kritik derartiger abstrakter Einheits- und Pflichtenrhetorik: http://theoriealspraxis.blogsport.de/2010/02/04/einig-stark-und-breit/. [zurück]
  7. Siehe dazu: http://www.trend.infopartisan.net/trd0611/t030611.html, Abschnitt 3. – 5. sowie 8.a). [zurück]

quelle: http://arschhoch.blogsport.de/2012/01/04/die-annaeherung-und-moeglichst-vereinigung-der-subjektiven-revolutionaerinnen-eine-auch-2012-noch-aktuelle-aufgabe/

Ein Kommentar zu “DGS antwortet Tino P.

  1. OT: zum begriff „sekte“ in der innerlinken diskussion

    man findet hin und wieder in kritiken an linken (klein-)gruppen den begriff „sekte“ als charakterisierung solcher gruppen. auch ich verwende diesen begriff manchesmal, allerdings liegt dem ein ironischer sprachgebrauch zugrunde (hauptsächlich in quantitativer hinsicht) und keine exakte begriffsdefinition. in der politischen theorie gibt es den auch nicht, allerdings in der religionswissenschaft schon. so findet man bei wikipedia:

    „Sekte (von lateinisch secta ‚Partei‘, ‚Lehre‘, ‚Schulrichtung‘) ist eine ursprünglich wertneutrale Bezeichnung für eine philosophische, religiöse oder politische Gruppierung, die sich durch ihre Lehre oder ihren Ritus von herrschenden Überzeugungen unterscheidet und oft im Konflikt mit ihnen steht. Insbesondere steht der Begriff für eine von einer Mutterreligion abgespaltene religiöse Gemeinschaft.
    Aufgrund seiner Geschichte und Prägung durch den kirchlichen Sprachgebrauch bekam der Ausdruck abwertenden Charakter und verbindet sich heute mit negativen Vorstellungen, wie der möglichen Gefährdung von etablierten religiösen Gemeinschaften oder Kirchen, Staaten oder Gesellschaften. In der modernen Religionswissenschaft und Soziologie wird der Terminus „Sekte“ durch neutrale, nicht wertende Bezeichnungen wie religiöse Sondergemeinschaft oder neureligiöse Gemeinschaft ersetzt.“
    http://de.wikipedia.org/wiki/Sekte

    man sieht, der sektenbegriff ist a priori gar nicht mal abwertend gemeint, es handelt sich lediglich um eine ABWEICHENDE MEINUNG VOM MAINSTREAM. natürlich können wirkliche sekten (im religiösen wie im politischen sinne) auch eine gefahr für ihre mitglieder darstellen. (einige erinnern sich vlt an den Massensuizid der Jones Anhänger in Südamerika). aber grundsätzlich muss der sektenbegriff nicht ZWINGEND eine negative bedeutung haben.
    so ist es auch im bereich politischer kleingruppen. eine revolutionäre organisation würde gegen alles stehen, was an gesellschaftlichen institutionen und bewusstseinsformen existiert. zwanglsläufig würde so eine organisation dann auch einen „sektencharakter“ bekommen, schon allein aufgrund ihres alleinstellungsmerkmals (man könnte es auch isolation nennen). die mitglieder einer solchen organisation müssten sehr willenstark, selbstbewusst und geschult sein, um dem enormen politischen wie psychischen druck zu widerstehen. die grenzen zu dem, was man vlt als „ungesundes psychosektenverhalten“ werten würde, sind da durchaus fliessend. und niemand sollte meinen, er sei davor hundertprozentig gefeit.
    ich denke also, es ist für die anfangsphase einer revolutionären organisation nicht schlimm, wenn sie eine „sekte“ ist (nicht zu verwechseln mit sektierertum). alle grossen revolutionären bewegungen der geschichte begannen mit kleinen „sekten“. das christentum, der marxismus, die psychoanalyse und das ZK der bolschewiki waren zu anfang alles kleine minderheitsströmungen von „ver-rückten“, die von den zeitgenossen grossteils nicht verstanden wurden, deren wahrheitsgehalt sich aber später durchaus herauskristalliert hat.

    fürchten wir also weniger, dass man uns als verrückte sektierer abtut, sondern fürchten wir mehr den allesverschlingenden strudel des bürgerlichen bewusstseins. widerstehen wir diesem moloch, so haben wir wenigstens EIN unterpfand für die zukunft. verspielen wir auch das, werden die irrfahrten des antikapitalistischen odysseys höchstens erst im atomaren holocaust enden.

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