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Anmerkungen zu „Identität“ und „Identitätspolitik“

„Die Kritik am voraussetzen von Identität bedeutet gerade die Anerkennung der Notwendigkeit, Identitäten im politischen Kampf zu produzieren.“Kuschelsex

TaP hat mich darauf angesprochen, dass sie meine „positive“ verwendung des begriffes „identitätspolitik“ (IP) problematisch findet. ich bin daraufhin in mich gegangen und habe mich über die verwendung dieses begriffes etwas schlauer gemacht. (die folgenden ausführungen stützen sich im wesentlichen auf kommentare von TaP bei facebook. die quellen dafür habe ich aber  nicht geprüft, zumal sie auch z. t. nur in englisch verfügbar sind).

im weiten sinne dieses begriffes liegt die bedeutung von IP in der unterscheidung von „interessenpolitik“ der „alten“ sozialen bewegungen (z. b. arbeiterbewegung) zu den „neuen“ sozialen bewegungen (z. b. sexuelle und ethnische minderheiten und frauenbewegungen).

diese verwendungsweise übersieht aber, dass es auch in der arbeiterbewegung nicht nur um materielle interessen ging, sondern auch um IP, wie z. b arbeitersportvereine und ‚arbeiterkultur‘ (‚produzentenstolz‘) bis hin zu einer „arbeiterliteratur“ (ungeachtet dessen, wie man ihre qualität beurteilen will.)

und auch in den „neuen“ sozialen bewegungen (NSB) werden ja durchaus auch handfeste materielle interessen formuliert.

in einem gewissen sinne ist also jede politik „Identitätspolitik“, insofern sie in der identifizierung mit einem bestimmten programm oder einer bestimmten politischen ‚linie‘ begründet liegt.

„im engeren Sinne bezeichnet „Identitätspolitik“ ein essentialistisches Politikverständnis, das einen wesenhaften Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Gruppen und deren politischer Identität (Wesen <–> Erscheinung) behauptet; die Notwendigkeit von Bündnissen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen unterschätzt und (kulturalistische) Gemeinschaftsbildung gegenüber (politischer) Gesellschaftsveränderung priorisiert.
Auch dies gab und gibt es
— sowohl in der ArbeiterInnenbewegung bzw. in dem, was von ihr übrig geblieben ist, in Form von „Arbeitertümelei“/Intellektuellenfeindlichkeit
— als auch in den sog. NSB (z.B. Differenzfeminismus; Separatismus nicht nur als Taktik, sondern als Strategie).“

ein besonders krasses beispiel für die verwendung des begriffes IP findet sich in einem artikel der FAZ über die „gesundheitsreform“ bei Trump:

„Viele Senatoren waren dennoch der Ansicht, dass Männer die Interessen von Frauen hinreichend gut vertreten können. Deswegen beriefen sie erst gar keine Frau in die Gruppe, die das Krankenversicherungsgesetz entwarf. Dreizehn Männer verhandelten dort, mit dem bekannten Ergebnis: weniger Versorgung für Einkommensschwache, Diskriminierung aufgrund von Vorerkrankungen, kein Geld für Planned Parenthood. Als die Partei dafür kritisiert wurde, dass alle diese Entscheidungen von Männern getroffen wurden, nannte ein Sprecher das gegenüber CNN ‚Identitätspolitik‘ – mittlerweile ein konservatives Schimpfwort für alles, was nicht Politik für und aus der Sicht von weißen Männern ist.“

(in diesem zusammenhang fällt mir auch der spruch von Gerhard Schröder über „familien-gedöns“ ein, um damit vermutlich einen gegensatz zu „ernster“ wirtschaftspolitik aufzumachen.)

ich bin daher zu der schlussfolgerung gelangt, dass der begriff „identitätspolitik“ tatsächlich einen versuch darstellt, minderheiten- und frauenanliegen gegen die „soziale frage“ auszuspielen („konservative linke„) oder — im falle der bürgerlichen konservativen (einschliesslich „neue“ [bürgerliche] sozialdemokraten) — „soziale bewegungen“ (wie immer man sie definieren will) gegen die offizielle „mainstream“- und ’staatsräsonale‘ politik.

es kommt aber auch immer auf den kontext drauf an, wie man den begriff IP verwenden will. ich halte es für durchaus denkbar, IP auch in einem „neutralen“ oder „positiven“ sinne verwenden zu können; z. b. wenn es einem speziell darauf ankommt, kulturelle oder psychologische besonderheiten, eigenarten und/oder bedürfnisse von „sozialen gruppen“ (der begriff ist ein bisschen unglücklich, aber gibt wohl keinen besseren. frauen sehe ich z. b. nicht als „gruppe“ an) hervorzuheben; was ich nicht als illegitim ansehen würde.

insgeamt muss man aber wohl zu der bewertung kommen, dass IP eine ambivalente (politische) bedeutung (konnotation) hat. von daher ist es wichtig, wenn man diesen begriff verwenden möchte, möglichst genau darzustellen, was damit gemeint sein soll.

auf alle fälle scheint es mir nicht sinnvoll zu sein, IP mit dem psychologischen begriff der „identität“ zusammenbringen zu wollen (obgleich ich sonst immer sehr für [sozial]psychologie zu haben bin). das würde wirklich in eine theoretisch-politische sackgasse führen. menschen brauchen zwar eine „identität“, wenn sie in gesellschaftlichen und politischen konflikten bestehen wollen. aber diese „identität“ ist tatsächlich nicht die „vorausgesetzte“, sondern diese stellt sich erst im laufe der (politischen) „aktivitäten“ her. und zwar einmal dadurch, dass man sich ein „politisch-theoretisches programm“ [aktiv] erarbeitet (und sich damit dann auch „identifiziert“, identifizieren kann) und zum zweiten eine dadurch angeleitete „praxis“ entfaltet (wobei theorie und praxis letztlich auch keine „getrennten“ prozesse sind; dies ist aber abhängig vom „stand der [sozialen] kämpfe“).

allerdings ist das alles gar nicht so neu, wie man meinen könnte ;):

„Das Zusammenfallen des Ändern[s] der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden.“ — Marx, Thesen über Feuerbach [1845]

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