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Elemente der „linken“ Diskussionen um „Stategie(n)“ und „(Basis)Organisierung“

durch die zusammenarbeit mit TaP wegen eines artikels zur diskussion um (basis)organisierung (angeregt durch ein papier des Kollektivs Bremen), habe ich ein wenig weiterrecherchiert und versuche hier ein paar punkte zusammenzufassen, die mir besonders wichtig erscheinen.

als erstes würde ich die diskussion um das verhältnis der „verschiedenen herrschaftsformen“ nennen wollen. dank eines beitrages der gruppe Siempre Antifa FFM im lowerclassmag komme ich da mittlerweile auf vier:

„Neben den Antagonismen zwischen Kapital und Arbeit (Klassenkampf) und zwischen Kapital und Natur [ökofrage] sowie den Geschlechterverhältnissen (Patriarchat) existiert somit ein weiterer Widerspruch [zentrum-peripherie], der historisch auf den Kolonialismus zurückgeht. Erst zusammengenommen ergibt sich ein umfassendes Bild bürgerlicher Herrschaft.“ (anm. in eckigen klammern von mir)

wir haben es also mit

(1) kampf der KLASSEN

(2) widerspruch zwischen profitinteresse und endlichkeit der naturressourcen (problem der nachhaltigkeit der produktion)

(3) patriarchales geschlechterverhältnis

(4) widerspruch zwischen (imperialistischen) zentren und (semi-kolonialer) peripherie

zu tun. das muss man erst mal sortieren! 😉

klassenkampf dürfte bei traditionslinken keine grossen probleme verursachen; selbst die postautonomen erkennen mittlerweile die bedeutung der „klassenfrage“ an. die ökofrage ist auch weitgehend in der (radikalen) linken angekommen, ausser vlt bei einigen besonders isolierten sekten wie SpAD und (traurigerweise) RSO (die sonst eigentlich intelligenter erscheinen, aber atomenergie scheint irgendwie bei einigen trotzki-jüngern hip zu sein. vermutlich ein erbe des [alten] produktivismus und [linearen] fortschrittsglaubens).

I.

schwieriger wirds bei geschlechterverhältnissen und „anti-imperialismus“. da gehen die diskussionen wüst durcheinander und hin und her. fangen wir mit den geschlechterverhältnissen an! da das thema zu umfangreich für einen blog-artikel ist, beschränke ich mich auf die positionen, die ich vertreten kann. dank eines bemerkenswerten interviews mit Nancy Fraser auf klassegegenklasse bin ich auch der meinung, da einen gewissen erkenntnisfortschritt erzielen zu können. sie sagt:

„Meiner Meinung nach ist die strukturelle Basis der Unterordnung der Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft die Spaltung zwischen wirtschaftlicher Produktion und sozialer Reproduktion. Diese Spaltung gab es nie vorher in der Geschichte. Diese Aktivitäten waren immer an einem Ort verbunden. Ich glaube, dass die Form dieser Spaltung sich in der Geschichte des Kapitalismus bedeutend verändert hat, im Verlaufe verschiedener Akkumulationsregime. Trotzdem ist es die grundlegende Achse und ich würde sagen, dass jede feministische Politik, die sich ausschließlich auf einen der beiden Pole stützt, ohne die Überlappungen und tiefen Verbindungen zu betrachten, nicht die Emanzipation der Frauen erreichen kann.“

das muss man erst mal sacken lassen! 😉 – hier stellen sich aber doch noch ein paar kleine problemchen. zunächst einmal ist der begriff „kapitalistische gesellschaft“ unglücklich gewählt (wenn auch sicher nicht zufällig). so schreibt TaP in einem unveröffentlichten manuskript (und ich stimme zu):

„Die heutige, hiesige Gesellschaftsformation ist allein als „kapitalistische“ nicht adäquat bezeichnet; ihre materielle Basis ist vielmehr vor allem kapitalistisch, patriarchal und rassistisch strukturiert; ihr Überbau rassistisch, patriarchal und bürgerlich.“ [die frage ist allerdings, ob der kapitalismus die „dominante“ struktur darstellt, denn ansonsten ergäbe auch der begriff „bürgerliche herrschaft“ keinen wirklichen sinn. es handelt sich aber natürlich trotzdem bei „westlichen gesellschaften“ um „bürgerliche gesellschaften“, die in gewisser weise die verschiedenen herrschaftsformen (auf ihre art) „integrieren“, ohne sie freilich nach vorne aufzulösen – bzw. auflösen zu können. allerdings gibt es auch keine garantie dafür, dass es in einer postkapitalistischen gesellschaft darum besser gestellt wäre. anm. v. mir]  [+]

aber unabhängig von der einseitigen terminologie stellt sich auch die frage, ob die trennung von produktion und reproduktion die ursache oder vielmehr  das symptom der „Unterordnung der Frauen“ darstellt. und hinzu kommt noch, dass diese „trennung“ keineswegs so hermetisch ist, wie von Fraser behauptet wird; was man allein schon am frauenanteil in der erwerbsarbeit [1] ablesen kann. aber genau an dieser stelle beginnt auch das eigentliche problem. der hohe anteil der frauen an der erwerbsarbeit (wenn auch immer noch kleiner als der männeranteil) ändert nämlich gar nichts am weiterbestand der „geschlechtshierachischen arbeitsteilung“ (was dann als die berühmte „doppelbelastung“ und „vereinbarkeit von beruf und familie“ [ver]öffentlich[t] diskutiert wird).

und das ist das eigentliche (ideologische) dilemma: den frauen wird im grunde nur eine falsche alternative angeboten, entweder beruf oder familie (kinder) oder die „doppelbelastung“ wuppen. schöne scheisse das!

eine mögliche „lösung“ liegt — und da hat Fraser recht — tatsächlich darin, diese „trennung“ von produktion und reproduktion zu verringern; was zum beispiel als „vergesellschaftung der hausarbeit“ diskutiert wird [2]. das bringt aber letztlich nur eine verlagerung des problems von einer frau zu allen frauen: 

„So realisierte der ‚Real’sozialismus bestenfalls die avanciertesten Forderungen sog. ‚bürgerli­chen’ Frauenbewegung(en), aber brach nicht mit dem Patriarchat. Die ge­schlechtshierarchische Verteilung der Reproduktionsarbeit blieb – auch konzep­tionell – von deren „Vergesellschaftung“ (die in Wirklichkeit bloß deren Verlage­rung von einzelnen Frauen auf mehrere Frauen war) unangetastet; die Politbüros kommunistischer Parteien waren schon zu Lenins Zeiten Männer-Domänen und blieben es danach. Der Erfolg Stalins im Männer-Machtkampf um die Nachfolge Lenins brachte auch im Bereich von Geschlecht(ern) und Sexualität ein roll back gegenüber begrenzten frauen-freundlichen Errungenschaften der Revolutionszeit. Es hätte also für eine Überwindung des Patriarchats – nach dem Bruch mit der Herrschaft des Kapitals – eines weiteren Bruchs (in dem Falle: mit der Herrschaft der Männer) bedurft, den es allein schon deshalb 1917 ff. nicht geben konnte, weil nicht nur der Marxismus, sondern auch die Frauenbewegungen noch nicht auf dem Stand der theoretischen Einsichten und strategischen Schlussfolgerun­gen war, die sich der Feminismus ab Mitte/Ende der 1960er erarbeitete.“ (TaP in: Gechlechterverhältnis und revolutionäre Organisierung)

hinzukommen muss also noch etwas zweites (neben dem „antikapitalismus“): ein kultur(r)evolutionärer wandel weg von patriarchalen bewusstseinsformen (oder besser: darüber HINAUS).

um aber zum schluss noch mal auf das zitat von Nancy Fraser zurückzukommen (und dies scheint mir der „kern“ des problems zu sein):

„jede feministische Politik, die sich ausschließlich auf einen der beiden Pole stützt [produktion oder reproduktion], ohne die Überlappungen und tiefen Verbindungen zu betrachten, [kann] nicht die Emanzipation der Frauen erreichen…“

ich würde das so interpretieren: es reicht nicht, dass sich frauen nur am „klassenkampf“ beteiligen, es reicht aber auch nicht, dass frauen nur ihren besonderen „weiblichen qualitäten“ (wie im differenzfeminismus) kultivieren. sondern wir brauchen BEIDES! 😉

dies würde ich den „integralen ansatz“ nennen wollen.

II.

auf das thema „imperialismus und anti-imperialismus“ möchte ich nur kurz eingehen. erstens liegt mir das thema nicht so wirklich und zweitens habe ich in bezug auf den „imperialismus-begriff“ auch noch ein paar theoretische zweifel; die ich hier aber erst mal aussen vor lassen möchte. grundsätzlich nur soviel:

die existenz von zentren und peripherien ist ausdruck der ungleichen entwicklung des kapitalismus als weltsystem, die auch im kolonialismus seine ursachen hat. der neokolonialismus hat zwar die eigenstaatlichen existenzen der peripherieländer „anerkennt“, aber durch andere formen von abhängigkeiten und wirtschaftlichen zwängen ersetzt. prinzipiell ist/war zwar der kampf um „nationale selbstbestimmung“ der peripherieländer ein „fortschrittlicher“, letztlich aber können nicht alle widersprüche gelöst werden, solange dieser „nationale kampf“ auf einer „bürgerlichen“ ebene (nationalismus) verbleibt:

„in unterentwickelten ländern, mit überwiegender agrarstruktur und geringem anteil an industrieproletariat, können die aufgaben der (nachholenden) bürgerlich-demokratischen revolution wie landereform und beseitigung der (semikolonialen) abhängigkeit vom imperialismus trotzdem nur durch eine revolutionäre bewegung unter PROLETARISCHER führung durchgeführt werden, da die ’nationale bourgeoisie‘ (kompradoren-bourgeoisie) mit dem imperialismus interessenmässig verknüpft ist und die kleinbürgerlichen schichten (einschliesslich der bauern) zu einer eigenständigen politischen orientierung nicht in der lage sind.  (entscheidend ist also das „soziale gewicht“ der klassen und nicht ihre zahlenmässige grösse)“ systemcrash

dies ist im wesentlichen der kern der theorie der permanenten revolution, die sich aber bislang eher negativ als positiv bestätigt hat.

(vergleich zu den bauern hingegen Lenin: „viertens die Notwendigkeit, speziell die Bauernbewegung in den zurückgebliebenen Ländern gegen die Gutsherren, gegen den Großgrundbesitz, gegen alle Erscheinungsformen oder Überreste des Feudalismus zu unterstützen und darauf hinzuarbeiten, daß die Bauernbewegung weitgehend revolutionären Charakter einnimmt, indem man ein möglichst enges Bündnis zwischen dem kommunistischen Proletariat Westeuropas und der revolutionären Bewegung der Bauern im Osten, in den Kolonien und überhaupt in den zurückgebliebenen Ländern herstellt.“ herv. v. mir)

HEUTZUTAGE kommt aber noch ein anderes problem hinzu. statt (klein)bürgerlicher nationalistischer befreiungsbewegungen haben wir es mit reaktionären islamistischen gruppen zu tun, die zwar in bestimmten situationen auch militärisch gegen den imperialismus stehen mögen, denen man aber unter keinen umständen irgendeine form von „unterstützung“ geben kann (auch keine „militärische“, was eh nur eine propagandistische unterscheidung ist). hier stösst also die „antiimperialistische einheitsfront“ aus zeiten der komintern an ihre grenzen. das wusste allerdings schon Lenin:

„In bezug auf die zurückgebliebeneren Staaten und Nationen, in denen feudale oder patriarchalische und patriarchalisch-bäuerliche Verhältnisse überwiegen, muß man insbesondere im Auge behalten:

erstens die Notwendigkeit, daß alle kommunistischen Parteien die bürgerlich-demokratische Befreiungsbewegung in diesen Ländern unterstützen; die Pflicht zur aktivsten Unterstützung haben in erster Linie die Arbeiter desjenigen Landes, von dem die zurückgebliebene Nation in kolonialer oder finanzieller Hinsicht abhängt;

zweitens die Notwendigkeit, die Geistlichkeit und sonstige reaktionäre und mittelalterliche Elemente zu bekämpfen, die in den zurückgebliebenen Ländern Einfluß haben;

drittens die Notwendigkeit, den Panislamismus und ähnliche Strömungen zu bekämpfen, die die Befreiungsbewegung gegen den europäischen und amerikanischen Imperialismus mit einer Stärkung der Positionen der Khane, der Gutsbesitzer, der Mullahs usw. verknüpfen wollen;“ (Lenin)

in solchen fällen, wenn man selbst nicht aktiv in kämpfe eingreifen kann, bleibt als einzige möglich nur der „revolutionäre defätismus“ [3] (also keine seite beziehen, was aber ebenfalls nur eine propagandistische positionierung darstellt. de facto ist es ein beiseitestehen aufgrund der realität der kräfteverhältnisse, was das allgemeine schicksal der „radikalen linken“, wie sie sich eben heute darstellt, ist.) und aus der not haben einige (kleine) propagandagruppen leider offensichtlich auch eine tugend gemacht, indem sie geneigt sind, ihre isoliertheit als zeichen besonderer programmatischer prinzipienfestigkeit zu mißdeuten.


[1] „In den meisten westlichen Ländern lag im Jahr 2006 die Erwerbsbeteiligungsquote der Frauen im Alter von 25 bis 64 Jahren in einem Bereich von 65 bis 75 %, bei den Männern der gleichen Altersspanne zwischen 75 und 85 %.“ — BpB

[2] „Schaut man beispielsweise auf die Anteile von Arbeit und Freizeit bei Frauen und Männern, im Jahr 1969, so stellt man fest, dass die voll berufstätigen Mütter in der DDR eine wöchentliche Gesamtarbeitszeit von mehr als 93 Stunden zu leisten hatten, um alle Aufgaben zu meistern. Männer arbeiteten dagegen knapp 59 Stunden pro Woche. Für Freizeit und Erholung blieben den Männern 50 Stunden, den Frauen jedoch nur 27, also gerade mal die Hälfte.“ — Gleichberechtigung – ein Mythos

[3] „Der Begriff Defätismus (französisch défaitisme, von défaite, „Niederlage“; schweizerisch auch Defaitismus) kann als Zustand der Mutlosigkeit oder Schwarzseherei beschrieben werden. Ursprünglich bezeichnete er die Überzeugung, dass keine Aussicht (mehr) auf den Sieg besteht und eine daraus resultierende starke Neigung aufzugeben.“ — wikipedia

[+] hier gibt es jetzt freilich ein „kleines“ 😉 theoretisches problem. wenn man den „postkapitalismus“ allein an der umwälzung der kapitalistischen produktionsverhältnisse „festmacht“, hält man ja zumindest implizit die „anderen unterdrückungsformen“ für untergeordnet- bestenfalls „beigeordnet“. auf der anderen seite kann ich mir aber auch bei aufwendung aller „soziologischen phantasie“ keine „antipatriarchale“ oder „antirassistische“ revolution vorstellen, die nicht auch gleichzeitig „antikapitalistisch“ sein soll. das ändert aber nichts daran, dass ich die „identitätspolitischen“ anliegen für ebenso berechtigt halte wie den „klassenkampf“. der unterschied ist nur der, dass der klassenkampf eine potentiell system-transzendierende dynamik entfalten könnte, in der immanenten logik des antipatriarchalen und antirassistischen kampfes liegt das nicht zwingend, da sie ihre materielle basis nicht (wesenhaft) in der industriellen produktion als „dominante“ produktionsform, sondern mehr im kulturellen überbau haben. (auch wenn patriarchat und rassismus auch ökonomische bedingungen aufweisen, diese sind aber für die kapitalistische produktion [als „reine“ wertverwertung, die es aber nie „rein gibt] von nachrangiger bedeutung; wenn sie sich nicht sogar direkt „produktivitätshemmend“ auswirken. nicht zufällig wollen viele frauen und „schwarze“ [als sammelbegriff] nur „gleichberechtigung“ [also auch aufstiegsmöglichkeiten im berufsleben, einschliesslich der möglichkeit, selber „unternehmer“ sein zu können], und keineswegs die ‚überwindung aller herrschaftsverhältnisse‘. das letztere betrifft freilich auch die „arbeiterInnenbewegung“ [in form des co-managements], sofern dieser begriff nicht eh nur noch eine „historische“ bedeutung hat.)

auch wenn es also stimmt, dass die reproduktion in form der nachwuchserzeugung kein immanent-logischer bestandteil des kapitalverhältnisses ist, so stimmt es aber auch, dass es ohne die kindererzeugung und die (weibliche) reproduktionsarbeit kein kapitalverhältnis geben könnte, jedenfalls nicht lange – und natürlich auch nicht die möglichkeit zu einer postkapitalistischen gesellschaft. vielleicht hat Marx die „Ökonomie“ doch zu sehr aus einer „mannlichen“ sicht heraus analysiert. 😉

„Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter, so dass sich diese Race eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt…“ — Das Kapital Bd. 1, 4. Kapitel, zit nach „spartakist

hier „vergisst“ aber Marx eine „kleinigkeit“: der familienernährer-lohn ist selbst schon ein teil der patriarchalen arbeitsteilung. (vom wort ersatzmänner mal ganz zu schweigen). nicht zufällig begrenzt der „neoliberalismus“ (der den fordismus abgelöst hat) den „familienernährer-lohn“ auf die qualifizierteren schichten der lohnabhängigen [++]. dies ist zwar in erster linie ökonomisch motiviert, drückt aber bis zu einem gewissen grad auch eine erosion des traditionellen geschlechterverhältnisses aus. nur leider wirkt sich diese erosion nicht gerade „emanzipatorisch“ aus, sondern führt mehr zu einer verstärkten prekarisierung und im extremfall sogar „pauperisierung“.

„Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst konsumiert er durch seine Arbeit Produktionsmittel und verwandelt sie in Produkte von höherem Wert als dem des vorgeschossnen Kapitals. Dies ist seine produktive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner Arbeitskraft durch den Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andrerseits verwendet der Arbeiter das für den Kauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel: dies ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und die individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehört dem Kapitalisten; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebensfunktionen außerhalb des Produktionsprozesses.“ —Das Kapital, Bd. 1, 21. Kapitel, zit nach „spartakist

lebensfunktionen ausserhalb des kapitalistischen produktionsprozesses stimmt zwar, aber nicht ausserhalb der „gesellschaftlichen gesamt-reproduktion“. (zu der eben z. B. auch das „patriarchale geschlechterverhältnis“ gehört)

um das ganze mal ein bisschen zusammenzufassen: eine post- oder transkapitalistische gesellschaft kann nicht allein aus der umwälzung der produktionsverhältnisse bestehen. es muss auch eine veränderung der gesamten verkehrs- und bewusstseinsformen stattfinden, damit es sich um eine wirkliche „aneignung“ handeln kann. nur leider ist dies ein ungleich komplexerer prozess als die veränderung der produktionsverhältnisse als ‚formale‘ oder nominelle änderung z. b. der eigentumsverhältnisse der strukturell- wichtigen produktionsmittel und infrastrukturen – und die ist schon kompliziert genug 😉 .

[++] „Frauen bilden mit ihrer spezifischen Position in der Gesellschaft keine eigene Klasse: Zu unterschiedlich sind die Klassenpositionen. Aber: Frauen besitzen nicht automatisch die Klassenposition der Männer. Es sind zum Beispiel vor allem Frauen, deren Arbeitskraft in der Hausarbeit sich die Kapitalseite unentlohnt aneignet – so etwa im männlichen Ernährermodell des Fordismus: Um den Mehrwert zu erhöhen, wurde die Reproduktion der Ware Arbeitskraft ins Private ausgelagert. Für Essen kochen, Kinder erziehen, Kopf des von der Arbeit erschöpften Mannes streicheln und vieles mehr waren (und sind) in erster Linie Frauen zuständig. Was da hinter den Türen der Privatwohnungen geschieht, war im Fordismus Voraussetzung für die Lohnarbeit am Arbeitsplatz und Teil des verlängerten Fließbandes der Mehrwertproduktion. Das ist auch heute noch gültig, obwohl die vom Kapitalismus geschaffene Figur der Hausfrau an Bedeutung verloren hat und Reproduktionstätigkeiten zunehmend kommodifiziert werden.“ — AK 627

41 Kommentare zu “Elemente der „linken“ Diskussionen um „Stategie(n)“ und „(Basis)Organisierung“

  1. Nach bisher nur Mitlesen, nun ein paar Anmerkungen von meiner Seite dazu:

    1. @ Kapital und Natur (Ökofrage)

    Das Thema ist sicherlich wichtig, aber ich würde es jedenfalls nicht auf der gleichen Ebene wie Rassismus, patriarchales Geschlechterverhältnis und Klassenverhältnisse einordnen – vielleicht ist es ’noch grundlegender‘ als die genannten drei Grundwidersprüche (da es die physischen Existenzbedingungen der AntagonistInnen dieser drei Widersprüche betrifft), vielleicht aber auch weniger grundlegend, da es nur eine Folge eines oder mehrerer der drei genannten Widersprüche ist.

    Gleichordnen würde ich es mit den genannten inner-gesellschaftlichen Widersprüche jedenfalls deshalb nicht, weil die Natur nicht als – politikfähiges – Subjekt in Betracht kommt, auch wenn es gravierende Folgen hat, wenn die Menschen es mit der (Aus)Nutzung der außermenschlichen Natur übertreiben.

    Hinzukommt: In dem zitierten Texte ist ja von „Kapital und Natur“ die Rede; dies scheint nahelegen, die „Ökofrage“ als Nebenwiderspruch des Kapitalismus zu betrachten. (Angemerkt sei, daß ich keine prinzipiellen – philosophischen – Einwände gegen die Kategorie „Nebenwiderspruch“ habe. Ich habe nur wissenschaftliche und politische Einwände dagegen, Patriarchat und Rassismus als Nebenwidersprüche zu kategorisieren.[*])
    Vielleicht mögen – dies nur als Hypothese – auf der ‚Negativseite‘ auch noch spezifisch männliche und/oder europäisch-aufklärerische (szientistische) Einstellungen gegenüber der außer-menschlichen Natur hinzukommen; aber auch dies würde dieses Thema nicht selbst zu einem Grundwiderspruch, sondern nur zu einem Symptom von mehreren der drei genannten Grundwidersprüche machen.

    [*] Allein wäre noch bedenken, daß bei Mao „Nebenwiderspruch“ ja nicht der Gegenbegriff zu „Grundwiderspruch“, sondern der Gegenbegriff zu „Hauptwiderspruch“ ist. Der Unterschied zwischen „Grund-“ und „Hauptwiderspruch“ liegt in der Terminologie Maos darin, daß der Erstere charakteristisch für das jeweilige ‚Objekt‘ als solches ist (solange es existiert), während der Hauptwiderspruch – je nach politischer Konjunktur – variabel ist. Einen Gegenbegriff zu „Grundwiderspruch“ gibt es dagegen bei Mao – leider – nicht.
    Ich würde – im Rahmen Maos Terminologie und im Gegensatz zu dem oben von mir Gesagten – daher sogar zugestehen, daß der menschliche Umgang mit der außermenschlichen Natur in bestimmten konkreten historischen (gesellschaftlich-politischen) Situationen zum Hauptwiderspruch werden kann; dies ändert aber nichts daran, daß es sich auch dann nicht um einen Grundwiderspruch handelt.

    • im grossen und ganzen kann ich dem folgen, aber wäre es nicht zumindest theoretisch denkbar, dass auch die bourgeoisie (oder zumindest teile von ihr) nicht unbedingt nach dem „nach-mir-die-sintflut-prinzip“ handenl WOLLEN (aber dagegen wohl aus strukturellen zwängen [konkurrenz] MÜSSEN). dies würde ich aber nicht unbedingt als „bürgerliche herrschaft“ (denn herrschaft impliziert ja auch kontrolle, die ja zumindest tendenziell verloren wurde) bezeichnen wollen, sondern eher als symptom dafür, dass das profitprinzip insgesamt dysfunktional geworden ist.

      • @ wäre es nicht zumindest theoretisch denkbar, dass auch die bourgeoisie (oder zumindest teile von ihr) nicht unbedingt nach dem „nach-mir-die-sintflut-prinzip“ handenl WOLLEN

        Ja, Leute, die sich nicht an ihre gesellschaftliche Funktion halten wollen (KapitalistInnen, die keine KapitalistInnen mehr sein wollen; Männer, die keine Männer mehr sein wollen; Lohnabhängige, die KapitalistInnen werden wollen; Frauen, die zu Männern werden wollen; etc.) kann es immer geben.

        @ das profitprinzip insgesamt dysfunktional geworden ist.

        Das wäre dann wirklich der große Kladderadatsch (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Kladderadatsch) – das würde dann für die Hypothese eventuell ist die ‚“Ökofrage“ grundlegender als die Grundwidersprüche‘ sprechen (wobei das dann allerdings dicht an Gorbatschows „globalen Problemen“ wäre…).

    • tatsächlich würde auch ich die „ökofrage“ als „grundlegend(er)“ bezeichnen, aber nur die ‚rein‘ „sozialen“ widersprüche (also nicht das mensch-natur-verhältnis) als konstitutiv für die je spezifische gesellschaftsformation. die unterscheidung von „haupt“- und „nebenwidersprüchen“ scheint mir hingegen eher ein maoistischer schematismus zu sein, mit der die politik der „klassenzusammenarbeit“ (block der vier klassen) im „antiimperialistischen kampf“ ideologisch gerechtfertigt werden sollte. eine politik, die die KPCh fast zerstört hätte und letztlich in einer bürokratischen parteidiktatur endete.
      und gerade im zusammenhang mit der „identitätspolitik“ könnte diese unterscheidung auch zu einem ausspielen des „klassenkampfes“ mit ihr führen. siehe auch: https://systemcrash.wordpress.com/2017/02/04/identitaetspolitik-vs-soziale-frage/

  2. 2. Widerspruch (Zentrum – Peripherie), der historisch auf den Kolonialismus zurückgeht

    Ich möchte zunächst (kritisch) anmerken, daß der Rassismus in dem Zitat nicht erwähnt ist.

    Dies vorausgeschickt, möchte ich, was den Zentrum-Peripherie-Widerspruch bzw. Imperialismus anbelangt, sagen, daß ich – wie schon in Sachen Natur (siehe 1.) – weder Existenz noch Relevanz des Widerspruchs bestreite, aber zu bedenken geben, ob dieser nicht vielleicht eher

    als Folge von Rassismus + Kapitalismus

    denn als eigener Grundwiderspruch

    zu begreifen ist.

    Vielleicht wäre Imperialismus sogar noch besser als ‚Summe‘ von Rassismus, Kapitalismus und Patriarchat zu begreifen ist, wenn wir außerdem die unterschiedliche Ausgestaltung des Patriarchats in Peripherie und Metropolen berücksichtigen. (Dies wäre m.E. auf alle Fälle eine bessere Imperialismus-Definition als die stadien-theoretische Imperialismus-Definition, die Lenin im Anschluß an Hilferding und Hobson gab. – Warum sollte der Begriff „Imperialismus“ für das vermeintlich „höchste Stadium des Kapitalismus“ reserviert werden, wenn es den Kolonialismus schon in der Zeit der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise gab?)

    • „Warum sollte der Begriff „Imperialismus“ für das vermeintlich „höchste Stadium des Kapitalismus“ reserviert werden, wenn es den Kolonialismus schon in der Zeit der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise gab?“

      dann könntest du aber genauso fragen, warum war das alte Rom nicht „imperialistisch“ (im sinne lenins)? 😉

      • Eine pfiffige Antwort wäre:

        ++ Weil „Rom“ territoriale Expansion + SklavInnenhalterInnengesellschaft war,

        ++ aber „Imperialismus“ territoriale Expansion + Kapitalismus ist.

        😉

      • „aber „Imperialismus“ territoriale Expansion + Kapitalismus ist.“

        pfiffig 😉 – aber was ist dann der unterschied zwischen kapitalistischen ländern, die NICHT expansiv sind und solchen, die es sind? sollte man nicht diesen unterschied auch begrifflich benennen?

  3. 3. Eher nebenbei: „semi-kolonial“ vs. „neo-kolonial“

    Ist Zweiteres eigentlich auch ein trotzkistischer Begriff oder nur Ersteres? – Ich frage, weil in der Trotz alledem Nr. 69 und 71 vom April 2015 und Jan. 2016 eine interessante – selbstkritische – Bilanz des maoistischen Neo-Kolonialismus-Begriffs, von der ich allerdings nur den ersten Teil gelesen hatte, veröffentlicht war:
    http://trotzalledem.bplaced.net/zeitungen/inhalt.html

    CPI (ML) India – Kommunistische Partei Indiens (Marxisten Leninisten) März 2014: Neo-Nolonialismus und Entwicklung unserer ideologisch-politischen Linie Teil I

    CPI (ML) India: Neokolonialismus + Entwicklung unserer ideologisch-politischen Linie (Teil 2)

    Die Grundthese des ersten Teils lautete – soweit ich sie noch in Erinnerung habe – ungefähr, daß die Persistenz des Feudalismus im Neo-Kolonialismus überschätzt und dadurch die Bedeutung des antikapitalistischen Klassenkampfes unterschätzt wurde.

  4. hmm, ehrlich gesagt, das kann ich gar nicht so genau sagen. meistens wird in trotzkistischen publikationen eher der begriff „halb-kolonial“ verwendet. was allerdings die abgrenzung zu „neo-kolonial“ sein soll, ist mir schleierhaft.
    und was den „feudalismus“ betrifft, das wäre wirklich eine ganz eigene diskussion, die ich an dieser stelle lieber nicht führen würde. die betonung des „antikapitalistischen klassenkampfes“ ist mir natürlich sympathisch, weil sie konvergiert mit der theorie der permanenten revolution 😉

    zum problem des begriffes „feudalismus“ siehe auch die kommentare bei: https://systemcrash.wordpress.com/2012/03/19/asiatische-produktionsweise-thesen/

    • Soweit ich das noch in Erinnerung habe, geht das maoistische Schema in etwa so:

      1. Semi-kolonial: Unter Klassengesichtspunkten dominieren in dem beherrschten/abhängigen Land noch feudale Verhältnisse, aber es bleibt – trotz Beherrschung durch / faktischer Abhängigkeit von einem oder mehreren imperialistischen Ländern – juristisch unabhängig.

      2. Kolonial: Die juristische Unabhängigkeit fällt weg; das Land wird auch juristisch Kolonie.

      3. Neo-Kolonial: Das Land wird juristisch wieder unabhängig, bleibt aber faktisch unterworfen; gleichzeitig sind kapitalistische gegen feudale Klassenbeziehungen im Vormarsch begriffen.

      Strategisch bedeutet das Schema:

      Jedenfalls in Etappe 1. und 2. sind Bündnisse mit der – im ML-geschichtsphilosophische Schema: fortschrittlichen – „nationalen Bourgeoisie“ zulässig.

      Und der kritische Einsatzpunkt der verlinkten Trotz alledem-Artikel-Serie war in etwa: In Phase 3 werden solche Bündnisse jedenfalls problematisch, während der mainstream der ML-Bewegung, die – nach dieser Konzeption – für Phase 1 + 2 adäquate Strategie schematisch auf Phase 3 übertragen habe (und weiterhin überträgt).

      • dann würde ich sagen, ist die unterscheidung von „semi“ und „neo“ nicht trotzkistisch, denn trotzkisten sehen in ALLEN unterentwickelten ländern die notwendigkeit der „proletarischen führung“ im kampf. (ausser vlt die IMT 😉 )
        (unabhängig davon, wie man die bedeutung des „feudalismus“ in diesen ländern einschätzen mag)

      • @ Mai 16, 2017 um 9:41 pm:

        Vielleicht hätte ich gestern Abend in der vorletzten Zeile – statt adäquate Strategie – besser „adäquate Linie“ schreiben sollen (ich bin mir nicht sicher, ob es sich um eine Strategie, eine Taktik oder noch etwas Anderes handelt[e].)

  5. 4. @ Fraser: Produktion – Reproduktion

    „Meiner Meinung nach ist die strukturelle Basis der Unterordnung der Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft die Spaltung zwischen wirtschaftlicher Produktion und sozialer Reproduktion. Diese Spaltung gab es nie vorher in der Geschichte. […]. Trotzdem ist es die grundlegende Achse und ich würde sagen, dass jede feministische Politik, die sich ausschließlich auf einen der beiden Pole stützt, ohne die Überlappungen und tiefen Verbindungen zu betrachten, nicht die Emanzipation der Frauen erreichen kann.“

    Dem letzten Satz des Zitates stimme ich zu; der erste Satz hat m.E. einen Haken – nämlich einen unscharfen Begriff von „strukturelle[r] Basis“:

    Die Unterordnung von Frauen unter Männern (= patriarchales Geschlechterverhältnisse) gab es schon, bevor die kapitalistische Produktion herrschend wurde, also kann etwas Kapitalismus-Spezifisches (nach Fraser: die Spaltung zwischen wirtschaftlicher Produktion und sozialer Reproduktion) – den Struktur-Begriff ernstgenommen – nicht die Basis der Unterordnung sein, sondern es muß eine strukturelle Basis der Unterordnung von Frauen geben, die die verschiedenen Formen von Klassengesellschaft übergreift. Oder anders gesagt: Das Geschlechterverhältnis ist selbst eine materielle, gesellschaftliche Struktur – neben den Klassenverhältnissen (und dem Rassismus). Alle drei beruhen auf hierarchischen Formen von Arbeitsteilung, die sich nicht auseinander ‚ableiten‘ lassen.

    Außerdem würde ich sagen, daß es weniger eine reale „Spaltung zwischen wirtschaftlicher Produktion und sozialer Reproduktion“ gibt, als vielmehr eine Sphären-Trennungs-Ideologie, die die reale Verknüpfung [*] der beiden vermeintlichen ‚Sphären‘ bemäntelt. So hatte ich auch Fraser bei früherer Gelegenheit verstanden:

    http://theoriealspraxis.blogsport.de/2000/07/20/ist-das-patriarchat-sexistische-geschlechterverhaeltnis-wirklich-entlang-des-gegensatzes-von-privat-und-oeffentlich-strukturiert/

    [*] Vgl. dazu auch die – insoweit auf einen Formulierungsvorschlag von Gabriele Winker zurückgehende – letzte Version des NaO-Prozeß-Essential-Entwurfes: „in ein­an­der ver­wo­be­ne[r] Pro­zess von Pro­duk­tion und Repro­duk­tion“ (http://theoriealspraxis.blogsport.de/2014/02/17/worueber-sich-revolutionaerinnen-heute-einig-sein-koennten/)

    • „Die Unterordnung von Frauen unter Männern (= patriarchales Geschlechterverhältnisse) gab es schon, bevor die kapitalistische Produktion herrschend wurde, also kann etwas Kapitalismus-Spezifisches (nach Fraser: die Spaltung zwischen wirtschaftlicher Produktion und sozialer Reproduktion) – den Struktur-Begriff ernstgenommen – nicht die Basis der Unterordnung sein, sondern es muß eine strukturelle Basis der Unterordnung von Frauen geben, die die verschiedenen Formen von Klassengesellschaft übergreift. Oder anders gesagt: Das Geschlechterverhältnis ist selbst eine materielle, gesellschaftliche Struktur – neben den Klassenverhältnissen (und dem Rassismus). Alle drei beruhen auf hierarchischen Formen von Arbeitsteilung, die sich nicht auseinander ‚ableiten‘ lassen.“

      tja, dem kann ich nichts hinzufügen 🙂

  6. Fortsetzung von Nr. 3.: „semi-kolonial“ versus „neo-kolonial“

    @ systemcrash am Mai 16, 2017 um 9:57 pm:

    dann würde ich sagen, ist die unterscheidung von „semi“ und „neo“ nicht trotzkistisch, denn trotzkisten sehen in ALLEN unterentwickelten ländern die notwendigkeit der „proletarischen führung“ im kampf. (ausser vlt die IMT 😉 )
    (unabhängig davon, wie man die bedeutung des „feudalismus“ in diesen ländern einschätzen mag)

    Aber welche Kraft innerhalb eines Bündnisses führt und mit welchen Kräften – zu welchen Bedingungen – Bündnisse eingegangen werden, sind ja aber auch noch mal zwei Fragen, oder?

    • ja, schon, aber niemals würden trotzkisten sich der „nationalen bourgeoisie“ unterordnen (wie das maoisten machen). ganz egal, wie „feudalistisch“ das landleben ist.

      • Ich würde sagen: Die Unterordnung ist ja nichts was sich RevolutionärInnen aussuchen (oder aussuchen sollten). Wenn die antikapitalistischen RevolutionärInnen zu schwach für eine sozialistische Revolution sind, dann sind sie faktisch untergeordnet.

        Die Frage ist dann, wie mit der faktischen Unterordnung am besten umgegangen bzw. wie sie am besten überwunden werden kann. Da würde ich dann (insoweit übereinstimmend mit der orthodox-trotzkistischen Kritik) auch sagen: Es kommt entscheidend auf die programmatische, ideologische und organisatorische Unabhängigkeit an, die von stalinistischen, guevaristischen und (jedenfalls: spät-)maoistischen Volksfront-Strategien – vielleicht auch von der Guerilla-Taktik der IV. Internationale in den 1970er Jahren in Lateinamerika – vernachlässigt wurde.

        Allerdings sehe ich in Bezug auf die trotzkistische Position – sozusagen umgekehrt – auch die – oftmals realisierte – Gefahr des Voluntarismus; die Gefahr der „sozialistischen Revolution“ als bloßer Phrase, die dem jeweils aktuellen Kräfteverhältnisse nicht gerecht wurde (wird).

        Ziele, die allenfalls erst mittel- oder langfristig durchgesetzt werden können, müßten erst ausargumentiert werden und eignen sich noch nicht für die parolenhafte Tagesagitation bzw. als unmittelbare Handlungsaufforderung.

      • „Im März 1926, während Mao noch ein Lippenbekenntnis zur Idee abgab, dass das industrielle Proletariat eine führende Rolle in der kommenden chinesischen Revolution spielen würde, fragte er:

        „Wer sind unsere Feinde? Wer sind unsere Freunde? Das ist eine Frage, die für die Revolution erstrangige Bedeutung hat.“
        — Mao 1968, S. 9

        Die Passage ist ein Favorit für maoistische Befürworter einer neudemokratischen Allianz mit „progressiven“ Kapitalisten. Nepals Maoisten sind jedoch nicht in der Lage, irgendwelche bürgerlichen „Freunde“ der Arbeiterklasse und der armen Bauernschaft konkret zu identifizieren. Tatsächlich gibt es einen tiefen Widerspruch im Kern der maoistischen politischen Ökonomie. Auf der einen Seite steht die Erkenntnis, dass imperialistische Beherrschung die Bildung einer nationalen Bourgeoisie erstickt, die fähig wäre, signifikante demokratische Reformen und eine einheimische industrielle Entwicklung auf den Weg zu bringen. Auf der anderen Seite basiert die gesamte Strategie der Zwei-Etappen-Revolution auf der Vorstellung, dass das soziale Gewicht und die politische Autorität der einheimischen Bourgeoisie so groß sind, dass keine Möglichkeit der Umwälzung des gesamten ausbeuterischen Systems des kapitalistischen Privateigentums besteht.
        In seinem 500-Seiten-Wälzer über nepalesische Unterentwicklung (Bhattarai 2003b), liefert Bhattarai eine verwickelte Darstellung der historischen Entwicklung der „reaktionären“ Klassen und der komplexen Interdependenzen zwischen Großgrundbesitzern und Wucherer, Kaufmann[s] und „bürokratischem“ Kapital und Imperialismus. Doch die „nationale Bourgeoisie“ rechtfertigt kaum eine Erwähnung und es gibt keine Beschreibung irgendwelcher Handlungen, durch die sie sich als „Freund“ der Arbeiter und armen Bauern oder als Unterstützer irgendeiner Art von „fortschrittlicher“ Revolution qualifizierte. Dies liegt daran, dass es in der Epoche des Imperialismus keine historisch fortschrittliche Bourgeoisie in Nepal oder anderswo geben kann.
        Die zentrale Prämisse der Zwei-Etappen-Revolution, dass koloniale und halbkoloniale Länder zunächst einen längeren Zeitraum kapitalistischer Entwicklung durchlaufen müssten, bevor sie „reif“ für eine sozialistische Revolution seien, hat eine schäbige Herkunft. Vor der Oktoberrevolution von 1917 bestanden die Menschewiki darauf, dass die russische Arbeiterklasse nur als Erfüllungsgehilfe der angeblichen Bestrebungen der liberalen Bourgeoisie für eine demokratische Republik handeln könnte. 1906 argumentierte Pavel Axelrod, einer der führenden Menschewiki:

        „Die sozialen Verhältnisse in Russland sind nicht über den Punkt der bürgerlichen Revolution hinaus entwickelt: Die Geschichte treibt Arbeiter und Revolutionäre immer stärker zum Eintreten für bürgerliche Revolution, was sie unfreiwillig zu politischen Knechten der Bourgeoisie macht, anstatt in die Richtung des echten Strebens nach sozialistischer Revolution und die taktische und organisatorische Vorbereitung des Proletariats für politische Herrschaft.
        […]
        Wir können im absolutistischen Rußland die objektive historische Voraussetzung für die „politische Zusammenarbeit“ zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie nicht ignorieren.“
        — Axelrod 1976, S. 60 [Eig. Übers.]

        Lenin verwarf die menschewistische Strategie der Klassenkollaboration und stellte fest, dass die gesamte Bourgeoisie so vollständig mit dem Landadel verbunden war, so große Angst vor dem Proletariat hatte und so abhängig vom Schutz der zaristischen Autokratie war, dass sie unfähig war, irgendeine Wiederholung der „klassischen“ bürgerlichen Revolution von 1789 in Frankreich durchzuführen. Im Februar 1917 führten Massenstreiks und Demonstrationen auf der Straße zur Abdankung des Zaren und zur Bildung von Sowjets (Arbeiterräten) in den Fabriken, dem politischen Kern einer alternativen staatlichen Macht, aber die menschewistischen und sozialrevolutionären Führer dieser Gremien verpflichteten sich zur Treue gegenüber der neu gebildeten bürgerlichen Provisorischen Regierung. Die erste Reaktion vieler „alter Bolschewiki“ (einschließlich Stalin) bestand darin, dem neuen Regime als Ausdruck einer „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“, ein Konzept, dass Lenin formuliert hatte, ohne jemals einen Block mit der Bourgeoisie vorzuschlagen, bedingte Unterstützung zu geben. Lenins energisches Eingreifen (mit seinen berühmten „Aprilthesen“) machte diese Politik rückgängig und brachte die Bolschewiki auf einen Kurs, der es ihnen erlaubte, die Arbeiterklasse sechs Monate später an die Macht zu führen.“

        Quelle: http://www.bolshevik.org/deutsch/sonstiges/ibt_2011_nepal_volkskrieg_im_himalaya.html

      • @:

        „Auf der anderen Seite basiert die gesamte Strategie der Zwei-Etappen-Revolution auf der Vorstellung, dass das soziale Gewicht und die politische Autorität der einheimischen Bourgeoisie so groß sind, dass keine Möglichkeit der Umwälzung des gesamten ausbeuterischen Systems des kapitalistischen Privateigentums besteht.“

        Mmh:

        ++ Der Übergang in China von der ersten zur zweiten ‚Etappe‘ ging ja nun ziemlich schnell… – Wie schnell müßte denn der Übergang sein, damit er keine ‚Etappentheorie‘, sondern eine „permanente Revolution“ ist? 😉

        ++ Auch wenn sich die Linie(n) der (rechts- und post-)stalinistischen und rechts-maoistischen KPen nach 1950 vielfach kritisieren lassen: Ich bin nicht wirklich überzeugt, daß irgendwo die realistischen Chance zu einer sozialistischen Revolution verpaßt wurde – auch wenn vielleicht hier und da mehr ‚drin war‘, als ‚rausgeholt‘ wurde – aber letztlich kenne ich mich den diversen Länderbeispielen auch nicht genau genug aus.

      • Um das noch klarzustellen:

        ++ Auch schon vor 1950 gab es vieles an stalinistischen Linien zu kritisieren.

        ++ „1950“ hatte ich nur geschrieben, weil mir scheint, daß die chinesische Revolution und die jugoslawische Befreiung – abgesehen von den gravierenden Schwierigkeiten, die alle sozialistischen Übergangsgesellschaften hatten (auch die SU schon zu Lenins Zeiten und die auch nicht verschwunden wären, wenn Trotzki sein Nachfolger geworden wäre), ziemlich eindeutig auf der revolutionär-antikapitalistischen Haben-Seite zu verbuchen sind.

      • na ja, in spanien in den 30ern wurde sicher eine chance vergeigt. möglicherweise auch in china in den 20ern. mit indonesien in den 60ern kenne ich mich nicht so aus, aber das massaker an den kommunisten soll gewaltig gewesen sein. vlt wäre sogar frankreich 68 anders ausgegangen, wenn die KP nicht so scheisse stalinistisch gewesen wäre.
        und eins verstehe ich überhaupt nicht: ich kann in keinster weise erkennen, dass die „bürokratischen übergangsgesellschaften“ (WENN es denn übergangsgesellschaften waren, was ich bezeifel*) „eindeutig auf der revolutionär-antikapitalistischen Haben-Seite zu verbuchen sind“ – jedenfalls NICHT, wenn man das wort „revolutionär“ ernst nimmt.

        * vergl: https://systemcrash.wordpress.com/grundzuge-einer-synthetischen-theorie-des-stalinismus-thesen/

      • Zu 2.:

        Oktoberrevolution, Jugoslawien, China – vllt. auch noch Vietnam – waren Resultate von Massenbewegungen/-kämpfen (und nicht militärischer Expansion der SU – auch wenn letztere m.E. im antifaschistischen [Osteuropa außer Jugoslawien] bzw. antiimperialistischen [Afghanistan] Abwehr-Kampf berechtigt war) und gingen auch ökonomisch über „nationale Befreiung“ + (Links)Sozialdemokratismus hinaus – auch wenn es kein Kommunismus war.

        zu 1.:

        Spanien in den 1930ern:

        Die franquistische Rechte und die nicht-franquistische Bourgeosie hatten eine gewisse Stärke und auf der Linken machte nicht nur die PCE-Fehler: Es gab eine – wenn auch ziemlich linke – Sozialdemokratie; es gab auch Differenzen zwischen CNT und POUM (welchletztere wiederum sowohl das Objekt der Begierde der internationalen ‚linken‘ [trotzkistischen] als auch ‚rechten‘ [brandlerianischen] Opposition war, aber beide – oder? – enttäuschte).

        Dann wäre auch noch die Frage, ob die Orientierung auf den peripheren Nationalismus/Separatismus (Euskadi, Katalonien) – den wohl die gesamte Linke geteilt hatte, oder?) – richtig war oder als BündnispartnerInnen der städtischen Lohnabhängigen nicht eher auf Teile der bäuerlichen Bevölkerung in den anderen Regionen Spaniens hätte orientiert werden sollen.

        Indonesien in den 1960ern:

        Daß dort überhaupt etwas möglich war, lag ja nun aber gerade daran, daß die dortigen KP auf maoistischer – und nicht Chruschtschow- – Linie war.

        Frankreich 1968:

        Auch da gab es nicht nur die Differenzen zwischen KPF und TrotzkistInnen, sondern als dritten Faktor auch noch die Spontis (die Sozialdemokratie war ziemlich schwach) und die MaoistInnen, die im Zuge von „68“ entstanden (da hätte ja auch erstmal eine Einigung zustande kommen müssen…) – und Fabrikkämpfe waren in Italien Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre sogar stärker entwickelt als in Frankreich, oder?

  7. Fortsetzung zu 2. Widerspruch Zentrum – Peripherie / Imperialismus

    systemcrash am Mai 16, 2017 um 10:06 pm:

    was ist dann der unterschied zwischen kapitalistischen ländern, die NICHT expansiv sind und solchen die es sind? sollte man nicht diesen unterschied auch begrifflich benennen?

    Ja, sollte benannt werden: Die einen sind imperialistisch herrschend, die anderen imperialistisch beherrscht – beide ‚Sorten‘ von Ländern trotzdem Teil(e) des ‚imperialistischen Gesamtzusammenhangs‘ – wäre jetzt ein spontaner, nächtlicher Vorschlag von mir.

    • Nein, das „territoriale Expansion“ von Mai 16, 2017 um 9:44 pm war nicht nur militarisch-juristisch (Besetzung/Annektion) gemeint, sondern auch ökonomisch.

      ++ Keine Ahnung, was da als Maßstab genommen werden könnte – um einfach mal eine Zahl bzw. Definitionsmöglichkeit zu nennen, ohne überprüft zu haben, auf welche Länder das zutrifft (also ob das eine sinnvolle Definition wäre): ‚Wenn die Direktinvestitionen von Land A in Land B in den jeweils letzten 20 Jahren in mehr als 14 Jahren um mehr als 20 % höher waren als die Direktinvestitionen von Land B in Land A, dann ist Land B von Land A imperialistisch beherrscht.‘

      Aber – auch wenn ich mir eines eigenen Vorschlages für eine sinnvolle Imperialismus-Defintion unsicher bin, so würde ich auf alle Fälle sagen:

      Mir leuchtet nicht nicht ein, die Kolonialisierung Afrikas imperialistisch, die Kolonialisierung Lateinamerikas aber nicht-imperialistisch zu nennen – nur, weil letztere gleich in die Anfangszeit der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise fällt, erstere aber erst rund 400 Jahre später stattfindet.

  8. 5. Taktik: Haupt/-Nebenwidersprüche — Strategie: Grund- und Nicht-Grundwidersprüche

    systemcrash schreibt am Mai 17, 2017 um 3:58 am

    zu TaP vom TaP von Mai 16, 2017 um 10:42 pm
    „Hieß Deine Position zu Macron vs. Le Pen […] (die ich im wesentlichen teile) nicht […], daß der Widerspruch pro oder contra Le Pen der aktuelle Hauptwiderspruch und die Widersprüche innerhalb des Anti-Le Pen-Lagers aktuelle Nebenwidersprüche waren?“

    Folgendes:

    „nein, das heisst es mitnichten. es ist einfach eine frage der (korrekten) TAKTIK“ 😉

    Ich weiß nicht, ob das jemals einE MaoistIn so gesagt hat – aber:

    ++ dient die Unterscheidung von Haupt- und Nebenwidersprüchen nicht gerade der Bestimmung der Taktik?

    und

    ++ die Unterscheidung von Grund- und Nicht-Grundwidersprüchen der Bestimmung der Strategie?

    Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Bezeichnungen für die verschiedenen Arten von Widersprüchen nur philosophische Kategorien sind, die die konkrete wissenschaftliche Analyse weder ersetzen noch vorwegnehmen, sondern nur anregen können.

  9. 6. bürgerliche Herrschaft

    „die frage ist allerdings, ob der kapitalismus die ‚dominante‘ struktur darstellt, denn ansonsten ergäbe auch der begriff ‚bürgerliche herrschaft‘ keinen wirklichen sinn.“

    a) Mir scheint, der Begriff „bürgerliche Herrschaft“ hat allein schon als politisches Überbau-Äquivalent zur in der kapitalistischen Produktionsweise – aufgrund der Verteilung der Produktionsmittel gegebenen – ökonomischen Dominanz der kapitalistischen Klasse gegenüber der Klasse der Lohnabhängigen – jedenfalls ein bißchen – Sinn und Berechtigung.

    b) Allerdings würde ich zugestehen: In Gesellschaftsformationen, in denen die feudale Produktionsweise noch über die kapitalistische Produktionsweise dominiert, hat der Begriff „bürgerliche Herrschaft“ nur wenig Sinn.

    c) Damit ist die entscheidende Frage, ob die kapitalistische Produktionsweise in heutigen – jedenfalls der hiesigen – Gesellschaftsformation die dominierende ist.

    Marx‘ Antwort auf diese Frage war ziemlich klar: „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘, […].“ (MEW 23, 49).

    Nach diesem Kriterium („erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung'“) müssen wir wohl klar bejahen, daß wir in einer Gesellschaft(sformation) leben, in der die kapitalistische Produktionsweise (kap. PW) herrscht.

    Aber ist es wirklich so einfach? Sicherlich herrscht hier und heute die kap. PW über die vier anderen Produktionsweisen – die asiatische, die feudale, die kommunistische und die Sklaverei –, mit denen sich Marx gelegentlich beschäftigte – sofern von diesen überhaupt Spuren festzustellen sind.

    d) Aber was ist mit der Produktionsweise, die Christine Delphy die „häusliche“ nennt und in der die Aneignung der unentlohnten Arbeit durch Liebe und/oder häusliche Gewalt vermittelt ist?

    aa) Die häusliche Produktionsweise unterscheidet sich

    von der kapitalistischen dadurch, daß in ihr die Arbeitskraft nicht als Ware gegen Lohn getauscht wird;

    von der feudalen und der auf Sklaverei beruhenden Produktionsweise dadurch, daß im Rahmen der beiden zuletzt genannten die Aneignung der Arbeit nicht durch romantische Liebe vermittelt ist;

    von der kommunistischen dadurch, daß in der häuslichen – anders als in der kommunistischen – Ausbeutung stattfindet.

    bb) Nach der Zeitverwendung-Statistik des Statistischen Bundesamtes für 2012/2013 (S. 11 – 14) verwandten diejenigen, die im Erhebungszeitraum 10 Jahre oder älter waren im Durchschnitt

    nur 2:43 Std.:Min für Erwerbsarbeit (die niedrige Zahl klärt sich aus der Einbeziehung von Jugendlichen, RentnerInnen, ‚Nur-Hausfrauen- und -männern‘ sowie Wochenenden) und weitere 0:32 Std.:Min. für Bildung und Qualifikation – also zusammen knapp 3 1/4 Stunden,

    aber 3:07 Std.:Min. für Haushaltsführung und Betreuung in der Familie und weitere für 14 Minuten für Ehrenamt und Unterstützung anderer Haushalte

    auf.

    cc) Dieses Zahlenverhältnis zwischen markt- und nicht-marktvermittelter Arbeit könnte uns zumindest daran zweifeln lassen, ob die kap. PW wirklich die herrschende ist.

    Trotzdem würde ich,

    da industrielle Arbeit (die praktisch ausschließlich markt-vermittelt stattfindet) deutlich produktiver ist als häusliche Arbeit und damit mehr zum Lebensstandard beiträgt,

    zustimmen, daß hier und heute die kap. PW auch über die häusliche Produktionsweise dominiert.

    e) Allein mit der Produktionsweisen-Analyse ist allerdings noch alles über die materielle Basis der hiesigen, heutigen Gesellschaftsformation gesagt:

    Das Patriarchat findet nicht nur in der häuslichen Produktionsweise statt, sondern modifiziert – durch geschlechtshierarchische Teilung der Erwerbsarbeit und Frauenlohndiskriminierung – die kap. PW, die in ‚Reinform‘ nur freie und gleiche WarenbesitzerInnen/Rechtssubjekte kennt.

    Auch rassistische Arbeitsteilung und Lohndiskriminierung modifizieren – in entsprechender Weise – die ‚Reinform‘ der kap. PW.

    Schließlich sind sexuelle/sexualisierte sowie rassistische Gewalt zwar nicht ökonomisch – außer in Fällen von (insb. sexueller) Zwangsarbeit -, aber dennoch materiell.

    f) Mir scheint, wir können und müssen uns daher mit der Festststellung begnügen, daß wir es mit drei materiellen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen – die (v.a. kapitalistischen) Klassenverhältnisse; das patriarchale Geschlechterverhältnis und dem Rassismus – zu tun haben, die die hiesige, heutige Gesellschaftsformation grundlegend prägen. Etwaige Versuchen deren Gewicht zu quantifizieren (z.B. Aufrechnung von Vermögensunterschieden im Klassenverhältnis, die es aber auch z.B. zwischen den Geschlechtern gibt, gegen sexuelle und rassistische Gewalt) scheinen mir wenig tragfähig zu sein.

    g) Ich würde daher die Hypothese, daß von den drei genannten Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen das kapitalistische das dominierende sei, durch die These von einem ungefähren Gleichgewicht oder durch eine Null-Hypothese ersetzen wollen.

    Trotzdem ist es m.E. sinnvoll und berechtigt von „bürgerlicher Herrschaft“ in den heutigen und hiesigen Klassenverhältnissen zu sprechen; genauso ist m.E. aber auch sinnvoll und berechtigt, von „rassistischer und patriarchaler Herrschaft“ zu sprechen, denn auch diese Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse ‚finden‘ nicht nur an der materiellen Basis, sondern auch im politischen Überbau ’statt‘.

    • ich möchte mit einem zitat aus meinem kommentar zu deinem TREND-vortrag antworten:

      „Um mal eine these als resümee zu wagen: die [weibliche] hauswirtschaft ist zwar eine produktionsweise (im marxschen sinne), diese kann aber nicht als „eigenständig“ angesehen werden, sondern existiert immer nur in abhängigkeit von der herrschenden produktionsweise (Klassenverhältnisse). Von daher ist aus der weiblichen hauswirtschaft [3] auch keine eigenständige politische strategie ableitbar, sondern ihre belange/interessen [parteilichkeiten] können nur in zusammenarbeit mit den „subalternen klassen“ einer lösung zugeführt werden (zugeordnet, aber nicht untergeordnet).“

      @TREND-Vortrag: Geschlecht und Klasse

      allerdings stimmt das umgekehrte auch: die herrschenden klassenverhältnisse können ohne die [weibliche] reproduktionsarbeit/hauswirtschaft auch nicht (lange) existieren 😉

      • @:
        „Um mal eine these als resümee zu wagen: die [weibliche] hauswirtschaft ist zwar eine produktionsweise (im marxschen sinne), diese kann aber nicht als ‚eigenständig‘ angesehen werden, sondern existiert immer nur in abhängigkeit von der herrschenden produktionsweise (Klassenverhältnisse).“

        Ich möchte zunächst bei dem „immer“ einhaken: Hat es in früheren Gesellschaftsformationen, in denen die kap. PW erst schwach oder noch gar nicht entwickelt war, überhaupt Sinn, von einer relevant in Erscheinung tretenden häuslichen – von der feudalen oder SklavInnen haltenden unterscheidbaren – PW zu sprechen (auch wenn es damals schon eine geschlechtshierarchische Arbeitsteilung gab)?

        Haus und Hof (gr. οἶκος) waren ja insgesamt (also: überhaupt) der Ort der Produktion und das – wenn ich recht sehe: spät-feudale bis bürgerliche Ideal – der romantischen Liebe noch nicht erfunden.

        Der feudalen munt (—-> Vormundschaft) des Hausvaters unterlagen Ehefrauen, Kinder und Gesinde. (Allerdings weiß ich nicht auswendig, ob auch das Verhältnis der höheren [FeudalherrInnen] und niederen feudalen Klassen – damit die Fron und die Leibeigenschaft – unter dem Begriff der munt fiel.)

        Falls ich mit der grundsätzlichen Intuition richtig liege, hätte es wohl – außer in Bezug auf heutige Gesellschaftsformationen – nur Sinn in Bezug auf Gesellschaftsformationen, in denen es (noch) keine Klassen(arbeitsteilung), aber (schon) eine geschlechtshierarchische Arbeitsteilung gab, von „häuslicher Produktionsweise“ zu sprechen.

        @:

        „sondern existiert immer nur in abhängigkeit von der herrschenden produktionsweise (Klassenverhältnisse). Von daher ist aus der weiblichen hauswirtschaft [3] auch keine eigenständige politische strategie ableitbar,“

        Ich leite die feministische Strategie ja auch gar nicht allein aus der häuslichen PW, sondern aus der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung und sexuellen/sexualisierten Gewalt ab.

      • wenn du mit dem, was du schreibst, recht hast, denn hätte Fraser also recht, dass die starke trennung von produktion und reproduktion eine spezifik der kapitalistischen püroduktionsweise ist. allerdings reicht es auch nicht für emanzipatorische zwecke, die frauen in den kapitalistischen produktionsprozess zu integrieren (voll gleichberechtigt*), denn die geschlechtshierachische arbeitsteilung bleibt ja weiter bestehen.
        wenn man jetzt noch berücksichtigst, dass du geschlecht als rein „soziale“ kategorie behandelst und ich als „kultur-naturverschränkung“, dann erscheint mir die frage nach einer adäquaten „antipatriarchalen“ strategie (fast) unbeantwortbar zu sein.

        —–
        * aus differenzfeministischer sicht (die mir eher liegt) ist der begriff „gleichberechtigung“ ohnehin fragwürdig. „gleiche rechte“ bedeuten nämlich noch lange nicht gleiche interessen, fähigkeiten, veranlagungen und/oder vorlieben. für mich ist es NICHT emanzipatorisch, wenn frauen soldatInnen oder bergarbeiterInnen werden können, GENAUSO WIE MÄNNER. sie dürfen gerne soldatIn oder bergarbeiterin werden, wenn sie es wollen; sie müssen dabei aber nicht „wie männer“ sein. wenn Lt. Jordan O’Neil im manöver sagt „lutsch meinen schw*“ dann zeigt das eben, dass sie sich nicht „als frau“ im männlich dominierten militärwesen durchsetzen kann, sondern nur, wenn sie „wie ein mann“ (zumindest) funktioniert. das hat für mich nichts erstrebenswertes! https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Akte_Jane

        die korrekte [politische] bestrebung wäre also „gleichRANGIGKEIT“ oder „gleichWERTIGIGKEIT“. – ohne dass die geschlechtsspezifische differenz geleugnet werden müsste. (ohne den anspruch zu erheben, diese ‚differenz‘ umfassend „definieren“ zu können; vergl. https://systemcrash.wordpress.com/2012/12/09/materialzusammenstellung-zur-geschlechter-differenz/ )

        [https://www.youtube.com/watch?v=tuDAV_FWTb8&list=PL4FbBYr95eF_g6K8ZDXZuDP933eAiFwkI]

      • @:

        „wenn du mit dem, was du schreibst, recht hast, denn hätte Fraser also recht, dass die starke trennung von produktion und reproduktion eine spezifik der kapitalistischen püroduktionsweise ist.“

        „starke trennung“ würde ich nicht sagen; aber „tendenzielle Unterscheidung“ schon.

        @:

        „allerdings reicht es auch nicht für emanzipatorische zwecke, die frauen in den kapitalistischen produktionsprozess zu integrieren“

        Ja, für insgesamt emanzipatorische (also: kommunistische) Zwecke ohnehin nicht – aber auch nicht für eine Überwindung allein des Patriarchats. Für letzteres bedürfte es mindestens

        ++ einer Gleichverteilung der unbezahlten Arbeit auf Frauen und Männer

        ++ einer Überwindung der – nach Bezahlung und Kompetenzen – hierarchischen Teilung der bezahlten Arbeit (solange solche existiert)

        ++ einer Gleichverteilung nicht nur der neuen Einkommen, sondern auch der schon angesammelte Vermögen auf Frauen und Männer (was Klassenunterschiede sowohl innerhalb der Männer als auch innerhalb der Frauen nicht ausschließt, soweit es ’nur‘ um die Abschaffung des Patriarchats geht)

        ++ einer Beseitigung der sexuellen/sexualisierten Gewalt (wofür m.E. weitere Strafrechtsverschärfungen [im Rahmen] der patriarchalen Staatsapparaten nicht ausreichen – aber nicht falsch sind -, sondern wohl mindestens feministische Milizstrukturen hinzukommen müßten)

        ++ voller reproduktiver Freiheit für Frauen (Abschaffung der §§ 218 ff. StGB, außer soweit sie Abbrüche gegen den Willen Schwangeren betreffen / allgemeine Krankenfinanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen und des Zugangs zu Verhütungsmitteln)

        ++ strikter 50:50-Quotierung nicht nur beruflicher, sondern auch politischer Funktionen; dito in Bezug auf Redelisten etc.

        ++ einer Überwindung vergeschlechtlicher Stereotypen in allen Bereichen (Werbung, Erziehung, Sexualität, ….) – also einer feministischen Umwälzung der Ideologischen Staatsapparate / feministischen Kulturrevolution

        ++ einer Übergangsphase (‚Diktatur der FrauenLesben‘ analog zur marxistischen „Diktatur des Proletariats“) mit Vorrechte für FrauenLesben (affirmative action): z.B. Vetorechte oder Alleinentscheidungskompetenzen von FrauenLesben-Strukturen in bestimmten Fragen (z.B.: Straf- und Zivilkammern, die für Sexualstraftaten und Familienrechtsstreitigkeiten zuständig sind)

        ++ in dem Maße, indem alldies die Unterschiede zwischen Männern und Frauen abbaut, schließlich: ‚Absterben‘ der Einteilung der Menschen in Männer, Frauen (Trans*, Inter*).

        ++ soweit auf die Schnelle, morgen oder die nächste Tage fällt mir wahrscheinlich noch einiges mehr ein.

  10. „feministische milizstrukturen“ – wow, das klingt geil! ^^

    aber eins zeigt mir dein letzter post deutlich – ich werde NIE mit dir in EINER politischen organsation sein; und in einer „blockorganisation“ auch nur insoweit, wie nix zum geschlechterverhältnis gesagt wird. 😉

    die unterschiede (die gar nicht mal sooo klein sind) zwischen männern und frauen sind es doch gerade, die das leben erst lebenswert machen! 🙂

    vive la difference

  11. nur zur klarstellung: natürlich ist es richtig, den kulturellen überbau von geschlechterklischees zu „befreien“. das wird aber nicht dazu führen, die differenz von männlich und weiblich „aufzuheben“, sondern diese differenz wird auf ihren wahren individuellen kern geführt werden können (vlt zum ersten mal in der menschheitsgeschichte):

    „Setze den Menschen als Menschen und sein Verhältnis zur Welt als ein menschliches voraus, so kannst du Liebe nur gegen Liebe austauschen, Vertrauen nur gegen Vertrauen etc. Wenn du die Kunst genießen willst, mußt du ein künstlerisch gebildeter Mensch sein; wenn du Einfluß auf andre Menschen ausüben willst, mußt du ein wirklich anregend und fördernd auf andere Menschen wirkender Mensch sein. Jedes deiner Verhältnisse zum Menschen – und zu der Natur – muß eine bestimmte, dem Gegenstand deines Willens entsprechende Äußerung deines wirklichen individuellen Lebens sein. Wenn du liebst, ohne Gegenliebe hervorzurufen, d.h., wenn dein Lieben als Lieben nicht die Gegenliebe produziert, wenn du durch deine Lebensäußerung als liebender Mensch dich nicht zum geliebten Menschen machst, so ist deine Liebe ohnmächtig, ein Unglück.“
    — Karl Marx: http://www.mlwerke.de/me/me40/me40_465.htm

  12. @ die unterschiede (die gar nicht mal sooo klein sind) zwischen männern und frauen sind es doch gerade, die das leben erst lebenswert machen!

    Mal angenommen – die These von Lacan und anderen – erotisches Begehren (mir scheint, darauf spielst Du an) hänge von Differenz ab, trifft zu: Warum muß es sich dann um eine Gruppen-Differenz (Männer/Frauen) handeln? –

    Insofern gefällt mir dann Dein Fokus von Mai 17, 2017 um 10:03 pm auf die Individuen schon deutlich besser (als Dein Kommentar von Mai 17, 2017 um 9:51 pm).

  13. „Mal angenommen – die These von Lacan und anderen – erotisches Begehren (mir scheint, darauf spielst Du an) hänge von Differenz ab, trifft zu: Warum muß es sich dann um eine Gruppen-Differenz (Männer/Frauen) handeln?“

    weil es keine „gruppen-differenz“ ist, sondern der grundlegende „dualismus“ des „menschlichen“ (conditio humana) in „männlichen“ und „weiblichen“ (grund)ausprägungen (ich würde eigentlich „[psycho]energien“ oder archetypen schreiben wollen, aber das ist vlt ein bissl esoterisch 😉 ). https://de.wikipedia.org/wiki/Animus_und_Anima

    („Von Kritikern der analytischen Psychologie und auch innerhalb dieser Schule wurde darauf hingewiesen, dass Jung mit seinen Äußerungen über Anima und Animus die zu seiner Zeit üblichen Rollenzuschreibungen transportierte, indem zum Beispiel die Anima als unbewusste Gefühlsseite des Mannes und der Animus als unbewusste Geistigkeit der Frau bezeichnet wurde. Heutzutage wird häufig angenommen, hierbei handele es sich um Biologismen.
    Dabei sind auch „männlicher Charakter“ und „weiblicher Charakter“ nur als Idealisierung zu verstehen… Im realen Leben kann speziell dem Mann durchaus eine weibliche äußere Einstellung eigen sein bzw. kann ihm ein weiblicher äußerer Charakter zukommen und umgekehrt der Frau ein männlicher. Insofern ist natürlich auch die nachfolgende Kritik zu relativieren. Mit dieser Idealisierung ist nicht unbedingt eine reale Rollenzuschreibung verbunden. Andererseits kann eine psychologische Differenz der Geschlechter auch nicht „aus soziologischer Rücksichtnahme“ negiert werden
    .“) [herv von mir]

    eine gefestigte „individuelle identität“ scheint mir ohne gefestigte „geschlechtliche identität“ schlechthin nicht möglich zu sein. beides hängt sehr eng zusammen*, würde ich meinen. das ändert aber nichts daran, dass es richtig ist, überkommene vorstellungen/klischees und ‚traditionalismen‘ zu überwinden.

    *genau genommen müsste man sagen, zwischen geschlechtlicher und individueller identität ist der zwiespalt umso kleiner, je „umfassender“ (oder integraler) das bewusstsein ist; und umgekehrt umso ambivalenter, je „eingeschränkter“ der blickwinkel ist.

    „Dass jedes Ding seine zwei Seiten haben kann, ist mit Ambivalenz nicht gemeint, solange dadurch kein innerer Konflikt hervorgerufen wird. Vielmehr ist darunter eine Dichotomie von Sichtweisen zu sehen, die gegensätzliche Reaktionen bedingen und letztlich die Fähigkeit zu einer Entscheidung im weitesten Sinne hemmen. So sieht Karl Abraham den reifen Menschen im Gegensatz zum Kind, das durch Triebschwankungen charakterisiert ist, als frei von Ambivalenz.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Ambivalenz

    letztere aussage steht übrigens auch nicht im widerspruch zur notwendigkeit ökonomisch-kultureller veränderungen (weiter[höher]entwicklungen) der gesellschaftlichen verhältnisse. nur, diese veränderungen bedürfen „subjekte“, die dazu in der lage sind (psychisch befähigt, und das heisst mehr als nur über rationales wissen zu verfügen), solche auch durchzusetzen.

  14. „so schreibt TaP in einem unveröffentlichten manuskript (und ich stimme zu): ‚Die heutige, hiesige Gesellschaftsformation ist allein als ‚kapitalistische‘ nicht adäquat bezeichnet; ihre materielle Basis ist vielmehr vor allem kapitalistisch, patriarchal und rassistisch strukturiert; ihr Überbau rassistisch, patriarchal und bürgerlich.“

    Quasi der Text, aus dem das Zitat stammt:

    „das System, in dem wir leben“. Oder: Warum die kapitalistische Produktionsweise nicht das Ganze ist

    https://linksunten.indymedia.org/de/node/213343 (23.05.2017 – 08:30)

    PS.:

    In Wirklichkeit ist der verlinkte Text nur ein – mit zusätzlichen Gedanken und Formulierungen angereicherter – Auszug aus dem Text, den systemcrash tatsächlich gelesen und zitiert hatte – für die, es ganz genau wissen wollen. 😉

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